Warum der einstige Klimavorreiter Großbritannien hinter seine Ziele zurückfällt

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      Warum der einstige Klimavorreiter Großbritannien hinter seine Ziele zurückfällt

      Rishi Sunaks Regierung verliert vor dem Hight Court und muss seine Klimapläne nachbessern. Und in Schottland zerbrach über der Frage nach dem Klimaschutz sogar die Koalition.

      In Großbritannien führt die Lücke zwischen hochfliegenden Plänen und der Realität zu peinlichen Rückschlägen in der Klimapolitik. Vergangene Woche schlug der Londoner High Court der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak deren Klimaplan als unzureichend und allzu optimistisch um die Ohren. In Edinburgh musste der schottische Ministerpräsident Humza Yousaf nach dem vorzeitigen Scheitern der Koalition mit den Grünen sein Amt aufgeben. Der Streit hatte sich unter anderem am Umgang mit einem wichtigen Etappenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität („Net Zero“) entzündet.

      Das Königreich trat lange Jahre gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz auf. Labour-Premier Gordon Brown (2007-10) kreierte ein Ministerium für „Energiesicherheit und Net Zero“. Im Jahr 2008 nannte das Gesetz als Ziel für 2050 einen Rückgang klimaschädlicher Emissionen um 80 Prozent. Die konservativen Regierungen behielten diese Politik bei. Unter Premierministerin Theresa May (2016-19) verordnete sich die Insel als erste westliche Industrienation ein gesetzlich bindendes Ziel zur Klimaneutralität für 2050. Ihr Nachfolger Boris Johnson (2019-22) setzte ein Zwischenziel zur Emissionsreduktion um 68 Prozent bis 2030 durch.

      Aufsicht und Begleitung der ehrgeizigen Ziele übernahm eine unabhängige Klimawandel-Kommission (CCC) aus eminenten Fachleuten, elf Jahre lang bis 2023 geleitet vom früheren Tory-Umweltminister John Gummer. Deren Berichte klangen zuletzt immer pessimistischer. Das geht damit einher, dass sowohl Sunaks Regierung wie die Labour-Opposition, der alle Umfragen den Sieg bei der nächsten Unterhauswahl im Herbst vorhersagen, wichtige Positionen verwässert haben.

      Dem jüngsten Verfahren vor dem High Court lag eine Klage mehrerer Umwelt-Organisationen gegen den Klimaplan der Regierung zugrunde – seinerseits eine Reaktion auf ein kritisches Urteil der Höchstrichter vor zwei Jahren. Das Regierungsdokument enthalte zu wenig Informationen über mögliche Risiken auf dem Weg zu den vollmundig verkündeten Net-Zero-Zielen, argumentierten Lobby-Gruppen wie Friends of the Earth. Zudem kritisierten sie den Optimismus in Bezug auf das sogenannte Carbon Capture und Storage (CCS), also die Einlagerung schädlicher Klimagase in stillgelegten Stollen unter der Erde. Das Gericht gab den Kläger:innen recht und verdonnerte die Regierung zur Vorlage eines neuen Klimaplans binnen eines Jahres. Unbeirrt teilte das Ministerium mit, das Königreich dürfe „ausgesprochen stolz sein auf sein Vorgehen gegen den Klimawandel“.

      In Schottland hatte die CCC misstrauisch die Verlautbarungen und Aktionen der SNP-Regierung von Yousaf beäugt, die seit 2021 in einem formalen Pakt mit den Grünen zusammenarbeitete. Im März teilte das Gremium kühl mit, es „glaube nicht mehr“ an die Erreichbarkeit des in Edinburgh gesetzten Zieles zur Emissionsreduzierung um 75 Prozent bis 2030. Die schottische Regierung werde ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen, es gebe „keine umfassende Strategie“ und bisher beschlossene Schritte seien „bei weitem nicht ausreichend“, um im Rahmen beschlossener Gesetze zu bleiben.

      Prompt musste sich Klimaschutz-Ministerin Mairi McAllan öffentlich vom Zwischenziel verabschieden. Weil daraufhin die Grünen einen Sonderparteitag einberiefen, kündigte der Regierungschef kurzerhand die Zusammenarbeit auf. Das Klima war daraufhin so vergiftet, dass der Ministerpräsident zurücktreten musste.

      Auch in das Klimaziel der Londoner Zentralregierung – 68 Prozent Reduktion bis 2030 – haben die CCC-Leute „wenig Vertrauen“. Premier Sunak gilt in Sachen Klimaschutz als höchstens lauwarm. Man dürfe die Bevölkerung nicht überfordern, argumentierte der Regierungschef im Herbst mit Blick auf die anhaltend schlechte Wirtschaftslage nach Brexit und Pandemie. Politiker:innen jeglicher Couleur hätten zu wenig Ehrlichkeit gezeigt, welche Kosten die ehrgeizige Emissionsreduzierung für die Volkswirtschaft mit sich bringe.

      Die Einstellung halten ökonomische wie ökologische Fachleute für falsch. Der kürzlich als CCC-Direktor zurückgetretene Chris Stark hat zuletzt negative Folgen des Politikwandels festgestellt. Das Königreich sei „nicht aufregend“ für Investoren in grüne Energieprojekte. Eine geplante Versteigerung der entsprechenden Regierungskonzessionen für neue Offshore-Windräder musste kürzlich abgesagt werden: Keine Firma hatte Interesse gezeigt.

      Stark führt das vor allem auf US-Präsident Joe Bidens gewaltiges Investitionsprojekt in den USA zurück, machte in einem Interview mit der „Financial Times“ aber auch innenpolitische Gründe geltend: Weil sich Großbritannien von Zwischenzielen verabschiedet habe, werde es in den globalen Gesprächsrunden nicht mehr als wichtig wahrgenommen.

      Drastischer äußerte sich der frühere CCC-Aufsichtsrat Gummer über seinen konservativen Parteifreund, sprach von „lächerlichem Vorgehen“ und „dummen Aktionen“, als Sunak im Herbst die Laufzeiten für klimaschädliche Boiler sowie benzinbetriebene Autos verlängerte.

      Die Enttäuschung der Fachleute erstreckt sich auch auf Labour. Im Fall des Wahlsiegs hatte die Arbeiterpartei sofort ein nach amerikanischem Vorbild geschneidertes Paket staatlicher Investitionen in erneuerbare Energien und bessere Häuserisolierung in Höhe von jährlich 28 Milliarden Pfund (32,5 Milliarden Euro) auflegen wollen. Inzwischen mag Schatten-Finanzministerin Rachel Reeves nur noch knapp ein Fünftel dieser Summe versprechen, jährlich fünf Milliarden Pfund.

      Quelle: Frankfurter Rundschau