Fabien und David wollen von Berlin nach Schottland reisen - ohne Geld, sogar ohne Klamotten. Ihr Plan: Sie verlassen sich auf die Hilfsbereitschaft fremder Menschen.
Als Fabien Matthias und David Bittl im August einen Golfklub bei Berlin betreten, bellt ihnen ein Befehl entgegen: "Jungs, Hosen an!" Die Frau an der Rezeption mustert die beiden Studenten empört und ein wenig verdutzt. Neben Turnschuhen und Rucksäcken tragen sie nur Boxershorts.
"Genau deshalb sind wir hier", sagt Matthias zu der Rezeptionistin, die den Anblick der halbnackten Kerle auf dem Golfplatz offenbar keinesfalls dulden will. Als die zwei Berliner nach einer Fundkiste mit vergessenen Kleidungsstücken fragen, kann sie nicht weiterhelfen: "Nee, so was haben wir nicht."
Matthias und Bittl sind kurz zuvor von Freunden in einem Wald am Stadtrand von Berlin abgesetzt worden. Dort haben sie sich entkleidet und sind losgelaufen. Ihre Handys sind ausgeschaltet, Bargeld haben sie nicht dabei, nur Kreditkarten für den Notfall.
Denn die 23-Jährigen sind mitten in einem Experiment vor: Sie wollen nach Schottland gelangen, nur mithilfe der Unterstützung von Menschen, denen sie unterwegs begegnen. Am Ende wollen sie mit einem schottischen Lord einen Whisky trinken.
Wie kann man beweisen, dass die Menschen nicht so schlecht sind?
"Die Idee ist vor etwa zwei Jahren entstanden", sagt Matthias. "Wir haben mit Freunden darüber geredet, wie schlecht die Menschheit doch ist: unfreundlich, nicht hilfsbereit, egoistisch, und ohne Geld ist nichts mehr zu machen." Bittl und Matthias, die sich schon seit der Grundschule kennen, rätselten darüber, wie man das Gegenteil beweisen könnte: dass es das Gute in den Menschen noch gibt.
Also beschlossen sie, das auf die Probe zu stellen. Im darauffolgenden Sommer zogen sie sich zum ersten Mal bis auf die Unterhosen aus. Ziel dieser ersten Reise: auf einer Jacht im Mittelmeer fahren.
"Das war zuerst schon eine Überwindung, als wir nur in Unterhose im Wald saßen" sagt Matthias, der in Friedrichshafen Soziologie, Politik und Wirtschaft studiert. Sie hätten sich vorgenommen, auf Menschen zuzugehen. "Wir wollten uns nie durchschnorren, sondern immer etwas anbieten", sagt er.
Oft hätten sie etwa für eine Übernachtung gearbeitet oder im Haus oder Garten geholfen. Manchmal sei es aber auch einfach eine nette Bekanntschaft mit innigen Gesprächen gewesen. "Manche Leute haben uns auch Geld angeboten und waren dann ganz entsetzt, als wir es nicht annehmen wollten", sagt Matthias. "Geld ist quasi asozial, denn dann lernen wir weniger Leute kennen, weil wir nicht mehr darauf angewiesen sind."
Fast nackt durch Großbritannien
Die Idee des geld- und kleidungslosen Reisens ist nicht neu: Zwei Briten starteten, ebenfalls nur mit Unterhosen bekleidet, vor einigen Jahren in Südengland mit dem Ziel, das Land einmal zu durchqueren. George Mahood und sein Freund Ben hatten weder Essen, noch Geld bei sich und wollten es nur mithilfe der Menschen schaffen, die sie unterwegs trafen. Innerhalb von drei Wochen kamen sie in Schottland an. Ihre Geschichte schrieb Mahood anschließend auf - das Buch "Free Country: A Penniless Adventure the Length of Britain" erschien 2013.
Von den beiden Briten haben Matthias und Bittl nie gehört. "Wir haben uns von zwei Franzosen inspirieren lassen, die so etwas Ähnliches schon einmal gemacht haben", sagt Bittl. "Die sind auch losgelaufen ohne alles, mit einem bestimmten Ziel."
Per Anhalter und zu Fuß reisten sie vor zwei Jahren tatsächlich über die Alpen bis nach Frankreich - und fuhren nicht nur auf einer Jacht im Mittelmeer mit, sondern durften umsonst in einem kleinen Privatflugzeug mitfliegen, fuhren Wasserski, verkauften Pizza auf einem Rock-Festival und teilten ihr Abendessen mit einem Obdachlosen in Konstanz.
"Man kann gar nicht glauben, was uns alles während dieser Reise passiert ist", sagt Matthias. "David hat den Hut vom Bürgermeister von Saint-Tropez geschenkt bekommen, wir haben uns eine Schneeballschlacht auf einem Dreitausender in der Schweiz geliefert - mitten im August!" Es sei ein tiefes Freiheitsgefühl gewesen, ein Selbstläufer.
Die zwei beschlossen, in diesem Sommer erneut aufzubrechen, wieder auf der Suche nach Mitmenschlichkeit. Auf dem Golfplatz nahe Berlin hat man zwar keine Kleidung für die jungen Männer, aber man hat ihnen eine angebrochene Flasche Wasser mitgeben wollen.
Matthias und Bittl laufen weiter bis in die nächste Kleinstadt, von Haus zu Haus, niemand macht auf. Beim vierten Klingeln haben sie Glück: Eine Frau öffnet und kramt nicht nur zwei alte T-Shirts heraus, sondern lädt die beiden auf eine Pizza ein. "Wir durften dort schlafen und sind am nächsten Morgen mit Rucksäcken voller Proviant losgezogen", sagt Matthias. Gegenleistung: ein unvergesslicher Abend.
Per Anhalter gelangen sie weiter nach Hamburg, wo sie sofort versuchen, vom Hafen aus auf ein Schiff nach Schottland zu kommen. Ihr Angebot: Arbeiten an Bord. "Wir haben so ziemlich alle Reedereien abgeklappert", sagt Matthias. "Aber keiner konnte uns weiterhelfen." Also beschließen sie, ein Stück auf dem Landweg zu fahren und in Amsterdam ihr Glück zu versuchen.
"Doch als wir die Grenze überquerten, wurde alles nur noch schlimmer", sagt er. Was sich bei ihrer ersten Reise immer wie von selbst zu ergeben schien, habe sich bei der zweiten wie Hochleistungssport angefühlt. "Es war sehr schwierig, in Amsterdam eine Unterkunft zu finden", sagt Matthias. "Wir haben immer wieder unsere Geschichte erzählt, aber die Leute haben auf uns reagiert, als wären wir verrückt."
Ihre letzte Hoffnung: Im Westen von Amsterdam setzt eine Fähre nach Newcastle über. Matthias und Bittl wollen versuchen, an Bord zu kommen. Sie treffen am Ableger einen Mann, der ihnen die Tickets tatsächlich schenken will. Doch die Frau am Schalter lässt das nicht zu: "Ich werde Sie nicht für die da bezahlen lassen", sagt sie und deutet mit dem Finger auf Matthias und Bittl, die inzwischen Hosen, T-Shirts und sogar Pullis anhaben, die sie unterwegs geschenkt bekommen haben.
Enttäuschung im Hafen von Amsterdam
"Wir haben bis heute nicht verstanden, warum sie das gesagt hat", sagt Bittl. Die beiden sind enttäuscht, frustriert. Sie fahren weiter nach Rotterdam. Doch auch da will kein Schiff sie mitnehmen. "Es hat keinen Spaß mehr gemacht", sagt Matthias. Sie beschließen, abzubrechen. Kein Lord, kein Whisky.
"Im Nachhinein glauben wir, dass es vor allem am Zeitdruck lag", sagt Bittl. "Bei der ersten Reise waren wir einen knappen Monat unterwegs, und nun hatten wir insgesamt nur zwei Wochen."
"Wir haben daraus gelernt", sagt Matthias. "Bei der ersten Reise hatten wir viel Zeit und kein Geld - und ich habe mich noch nie so frei gefühlt." Bei der zweiten Reise hätten sie ebenfalls kein Geld gehabt, aber auch wenig Zeit. "Und der Zeitdruck hat uns die Möglichkeiten genommen."
Quelle: Spiegel Online
Als Fabien Matthias und David Bittl im August einen Golfklub bei Berlin betreten, bellt ihnen ein Befehl entgegen: "Jungs, Hosen an!" Die Frau an der Rezeption mustert die beiden Studenten empört und ein wenig verdutzt. Neben Turnschuhen und Rucksäcken tragen sie nur Boxershorts.
"Genau deshalb sind wir hier", sagt Matthias zu der Rezeptionistin, die den Anblick der halbnackten Kerle auf dem Golfplatz offenbar keinesfalls dulden will. Als die zwei Berliner nach einer Fundkiste mit vergessenen Kleidungsstücken fragen, kann sie nicht weiterhelfen: "Nee, so was haben wir nicht."
Matthias und Bittl sind kurz zuvor von Freunden in einem Wald am Stadtrand von Berlin abgesetzt worden. Dort haben sie sich entkleidet und sind losgelaufen. Ihre Handys sind ausgeschaltet, Bargeld haben sie nicht dabei, nur Kreditkarten für den Notfall.
Denn die 23-Jährigen sind mitten in einem Experiment vor: Sie wollen nach Schottland gelangen, nur mithilfe der Unterstützung von Menschen, denen sie unterwegs begegnen. Am Ende wollen sie mit einem schottischen Lord einen Whisky trinken.
Wie kann man beweisen, dass die Menschen nicht so schlecht sind?
"Die Idee ist vor etwa zwei Jahren entstanden", sagt Matthias. "Wir haben mit Freunden darüber geredet, wie schlecht die Menschheit doch ist: unfreundlich, nicht hilfsbereit, egoistisch, und ohne Geld ist nichts mehr zu machen." Bittl und Matthias, die sich schon seit der Grundschule kennen, rätselten darüber, wie man das Gegenteil beweisen könnte: dass es das Gute in den Menschen noch gibt.
Also beschlossen sie, das auf die Probe zu stellen. Im darauffolgenden Sommer zogen sie sich zum ersten Mal bis auf die Unterhosen aus. Ziel dieser ersten Reise: auf einer Jacht im Mittelmeer fahren.
"Das war zuerst schon eine Überwindung, als wir nur in Unterhose im Wald saßen" sagt Matthias, der in Friedrichshafen Soziologie, Politik und Wirtschaft studiert. Sie hätten sich vorgenommen, auf Menschen zuzugehen. "Wir wollten uns nie durchschnorren, sondern immer etwas anbieten", sagt er.
Oft hätten sie etwa für eine Übernachtung gearbeitet oder im Haus oder Garten geholfen. Manchmal sei es aber auch einfach eine nette Bekanntschaft mit innigen Gesprächen gewesen. "Manche Leute haben uns auch Geld angeboten und waren dann ganz entsetzt, als wir es nicht annehmen wollten", sagt Matthias. "Geld ist quasi asozial, denn dann lernen wir weniger Leute kennen, weil wir nicht mehr darauf angewiesen sind."
Fast nackt durch Großbritannien
Die Idee des geld- und kleidungslosen Reisens ist nicht neu: Zwei Briten starteten, ebenfalls nur mit Unterhosen bekleidet, vor einigen Jahren in Südengland mit dem Ziel, das Land einmal zu durchqueren. George Mahood und sein Freund Ben hatten weder Essen, noch Geld bei sich und wollten es nur mithilfe der Menschen schaffen, die sie unterwegs trafen. Innerhalb von drei Wochen kamen sie in Schottland an. Ihre Geschichte schrieb Mahood anschließend auf - das Buch "Free Country: A Penniless Adventure the Length of Britain" erschien 2013.
Von den beiden Briten haben Matthias und Bittl nie gehört. "Wir haben uns von zwei Franzosen inspirieren lassen, die so etwas Ähnliches schon einmal gemacht haben", sagt Bittl. "Die sind auch losgelaufen ohne alles, mit einem bestimmten Ziel."
Per Anhalter und zu Fuß reisten sie vor zwei Jahren tatsächlich über die Alpen bis nach Frankreich - und fuhren nicht nur auf einer Jacht im Mittelmeer mit, sondern durften umsonst in einem kleinen Privatflugzeug mitfliegen, fuhren Wasserski, verkauften Pizza auf einem Rock-Festival und teilten ihr Abendessen mit einem Obdachlosen in Konstanz.
"Man kann gar nicht glauben, was uns alles während dieser Reise passiert ist", sagt Matthias. "David hat den Hut vom Bürgermeister von Saint-Tropez geschenkt bekommen, wir haben uns eine Schneeballschlacht auf einem Dreitausender in der Schweiz geliefert - mitten im August!" Es sei ein tiefes Freiheitsgefühl gewesen, ein Selbstläufer.
Die zwei beschlossen, in diesem Sommer erneut aufzubrechen, wieder auf der Suche nach Mitmenschlichkeit. Auf dem Golfplatz nahe Berlin hat man zwar keine Kleidung für die jungen Männer, aber man hat ihnen eine angebrochene Flasche Wasser mitgeben wollen.
Matthias und Bittl laufen weiter bis in die nächste Kleinstadt, von Haus zu Haus, niemand macht auf. Beim vierten Klingeln haben sie Glück: Eine Frau öffnet und kramt nicht nur zwei alte T-Shirts heraus, sondern lädt die beiden auf eine Pizza ein. "Wir durften dort schlafen und sind am nächsten Morgen mit Rucksäcken voller Proviant losgezogen", sagt Matthias. Gegenleistung: ein unvergesslicher Abend.
Per Anhalter gelangen sie weiter nach Hamburg, wo sie sofort versuchen, vom Hafen aus auf ein Schiff nach Schottland zu kommen. Ihr Angebot: Arbeiten an Bord. "Wir haben so ziemlich alle Reedereien abgeklappert", sagt Matthias. "Aber keiner konnte uns weiterhelfen." Also beschließen sie, ein Stück auf dem Landweg zu fahren und in Amsterdam ihr Glück zu versuchen.
"Doch als wir die Grenze überquerten, wurde alles nur noch schlimmer", sagt er. Was sich bei ihrer ersten Reise immer wie von selbst zu ergeben schien, habe sich bei der zweiten wie Hochleistungssport angefühlt. "Es war sehr schwierig, in Amsterdam eine Unterkunft zu finden", sagt Matthias. "Wir haben immer wieder unsere Geschichte erzählt, aber die Leute haben auf uns reagiert, als wären wir verrückt."
Ihre letzte Hoffnung: Im Westen von Amsterdam setzt eine Fähre nach Newcastle über. Matthias und Bittl wollen versuchen, an Bord zu kommen. Sie treffen am Ableger einen Mann, der ihnen die Tickets tatsächlich schenken will. Doch die Frau am Schalter lässt das nicht zu: "Ich werde Sie nicht für die da bezahlen lassen", sagt sie und deutet mit dem Finger auf Matthias und Bittl, die inzwischen Hosen, T-Shirts und sogar Pullis anhaben, die sie unterwegs geschenkt bekommen haben.
Enttäuschung im Hafen von Amsterdam
"Wir haben bis heute nicht verstanden, warum sie das gesagt hat", sagt Bittl. Die beiden sind enttäuscht, frustriert. Sie fahren weiter nach Rotterdam. Doch auch da will kein Schiff sie mitnehmen. "Es hat keinen Spaß mehr gemacht", sagt Matthias. Sie beschließen, abzubrechen. Kein Lord, kein Whisky.
"Im Nachhinein glauben wir, dass es vor allem am Zeitdruck lag", sagt Bittl. "Bei der ersten Reise waren wir einen knappen Monat unterwegs, und nun hatten wir insgesamt nur zwei Wochen."
"Wir haben daraus gelernt", sagt Matthias. "Bei der ersten Reise hatten wir viel Zeit und kein Geld - und ich habe mich noch nie so frei gefühlt." Bei der zweiten Reise hätten sie ebenfalls kein Geld gehabt, aber auch wenig Zeit. "Und der Zeitdruck hat uns die Möglichkeiten genommen."
Quelle: Spiegel Online