Politik

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    Es gibt 350 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von scotlandfever.

      „Ich glaube, wir stehen vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen“

      Die Kolonialzeiten sind passé, Schottland ist vor dem Absprung: Das Vereinigte Königreich bröckelt nach Meinung des Autors James Hawes seinem Ende entgegen. England stehe alleine da. Wie es dazu kam, beschreibt er in „Die kürzeste Geschichte Englands“.

      Der britische Germanist und Autor James Hawes schrieb vor ein paar Jahren „Die kürzeste Geschichte Deutschlands“. Darin analysiert er unter anderem die deutsche Teilung. Nun hat er mit „Die kürzeste Geschichte Englands“ nachgelegt.

      Die vielleicht etwas verblüfften Leserinnen und Leser erfahren: Auch England ist ein Land, das durch eine tiefe Spaltung geprägt ist. Nicht die in Ost und West, sondern eine Teilung in Nord und Süd.

      Viele mögen jetzt spontan an die durch starke soziale Spannungen geprägte Thatcher-Ära denken, die zu gesellschaftlichen Verwerfungen führte und die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeitern und Upper Class noch deutlicher werden ließ. Doch James Hawes belehrt sie eines Besseren: „Diese Spaltung begann nicht erst mit der Thatcher-Ära, sondern schon früher. Sie geht tief, tief in die Geschichte Englands zurück.“

      Als die Normannen England eroberten

      Genau genommen habe die Spaltung 1066 ihren Anfang genommen, als die Normannen England eroberten und sich bald im reichen und kulturell weiter entwickelten Südosten der Insel eine französisch sprechende Elite bildete, die das Land bis heute präge: Im Norden die Industrie- und Arbeiterstädte, im Süden das Finanzzentrum, die Elite-Unis wie Cambridge und Oxford und die teuren Privatschulen.

      Dass es für Vertreter des „einfachen Volkes“ immer schon möglich war, zur herrschenden Oberschicht aufzuschließen und gesellschaftlich aufzusteigen, sei nur ein scheinbarer Widerspruch, sagt Hawes: „Es liegt daran, dass England 300, 400 Jahre lang eine Kolonialgesellschaft war. Und in dieser herrschenden Gesellschaft war man offen gegenüber Menschen, die ihre Kultur adaptieren – denn sonst hätte man einfach nicht genug Leute, um das Land zu regieren.“

      Gezielter Nachschub für die Eliten

      Das sei schon während der Zeit der Normannenherrschaft so gewesen: „Wer mit der französisch sprechenden Elite kollaborierte, wurde nach und nach herein gelassen.“ Das sei über die Jahrhunderte die Methode der Wahl für die britischen Eliten gewesen, um weiterzubestehen.

      Der britische Schriftsteller James Hawes zu Gast in der ARD Talkshow " Hart aber Fair " (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)James Hawes sieht ziemlich schwarz für seine Heimat England. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)

      Mit Blick auf den Brexit sagt Hawes: Dieser sei eine „Nebenerscheinung des Verfalls des Vereinigten Königreiches“, vorangetrieben von einer kleinen Gruppe aus dem reichen Südosten Englands, die diese Region eigentlich am liebsten zu einem weiteren Staat der USA machen wollten. „Das war immer ihr Ehrgeiz seit den 90er-Jahren: Sie wollten weg aus der EU und ein Teil von Amerika werden.“ Und Donald Trump sei „ihr Held“ gewesen.

      Fest steht für Hawes: Schottland werde sich bald selbständig machen wie vor über 100 Jahren Irland. „Was dann aus England wird, weiß niemand so genau.“ Das Land stehe ohne EU allein da. „Ich glaube wirklich, wir stehen vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen“, befürchtet der Autor.

      Quelle: Deutschland Kultur

      Britisches Regierungsmitglied: Schottisches Unabhängigkeitsreferendum bei „klarem Willen“

      Staatsminister Gove deutet an, dass die Regierung Johnson einer Abstimmung nicht im Wege stehen will. Die Zustimmung zu einer Loslösung schwindet in Schottland zuletzt wieder.

      Erstmals hat die Regierung des britischen Premierministers Boris Johnson angedeutet, einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands nicht im Wege zu stehen. „Wenn es eindeutig einen klaren Willen für ein Referendum gibt, dann wird es eines geben“, sagte Staatsminister Michael Gove der Zeitung „Sunday Mail“.

      Bei der schottischen Parlamentswahl hatten Parteien gewonnen, die für die Unabhängigkeit eintreten. Nach Umfragen schwindet die Zustimmung zu einer Loslösung vom Vereinigten Königreich aber wieder.

      Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte nach der Wahl angekündigt, die Unabhängigkeitsfrage voranzutreiben. Allerdings sind die meisten Experten der Ansicht, dass dafür die Zustimmung der britischen Regierung nötig ist. Johnson lehnt bisher eine weitere Volksbefragung ab.

      2014 hatte Schottland knapp für den Verbleib im Königreich gestimmt. Allerdings nahm das Thema nach dem Brexit-Referendum 2016 wieder Fahrt auf, da eine klare Mehrheit der Schotten den EU-Austritt ablehnt.

      „Im Prinzip kann das schottische Volk unter den richtigen Umständen diese Frage erneut stellen“, sagte Gove, der selbst aus Schottland stammt. „Ich glaube einfach nicht, dass es richtig ist, und die Öffentlichkeit hält es im Moment nicht für richtig, diese Frage zu stellen.“

      Quelle: Handelsblatt

      Johnsons gescheiterter Brückenschlag

      Der britische Premier wollte eine Brücke von Schottland nach Nordirland bauen lassen. Sie sollte ein Symbol für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs sein. Doch daraus wird nichts.

      Man tritt Boris Johnson sicher nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass er nur allzu gern ein Bauwerk hinterlassen würde, das in die Geschichte eingeht. Schon in seiner Zeit als Londoner Bürgermeister hatte er Pläne für einen neuen Flughafen an der Themse, und als britischer Außenminister brachte er eine Brücke über den Ärmelkanal ins Spiel. Aus beidem wurde bekanntermaßen nichts. Nun, da Johnson als Premierminister in 10 Downing Street regiert, steht ein weiteres Projekt vor dem Aus: die Boris Bridge.

      Boris Bridge, so hatte die Yellow Press Johnsons Vorhaben genannt, eine Brücke zwischen Schottland und Nordirland errichten zu lassen. Doch nun berichtete der Daily Telegraph, dass Johnson diesen Traum aufgeben muss. Eine von ihm beauftragte Untersuchungskommission sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein solches Vorhaben zu teuer und technisch zu anspruchsvoll wäre. "Das heißt nicht, dass es nicht irgendwann in der Zukunft machbar sein wird, aber im Moment wäre es sehr, sehr schwierig", zitierte die Zeitung eine anonyme Quelle aus der Regierung.

      Eine Brücke zwischen Schottland und Nordirland wäre nicht irgendeine Brücke gewesen, sondern ein Bauwerk, das symbolhaft für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs steht. Der Gedanke an sich ist durchaus begrüßenswert, ist die Einheit der Union seit dem Brexit doch immer zerbrechlicher geworden. Ob Johnson wirklich daran glaubte, mit einer Brücke die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland und auf der irischen Insel eindämmen zu können, ist nicht überliefert. Fest steht nur, dass der Premier das Vorhaben noch im September als "ehrgeiziges Ziel" bezeichnete, das allerdings nicht "die höchste Prioriät" habe. Es ist anzunehmen, dass er da schon wusste, wie das Ergebnis der Machbarkeitsstudie ausfallen würde.
      Johnsons Ex-Berater bezeichnete die Idee seines Chefs als "dümmsten Tunnel der Welt"

      Laut Telegraph gibt es bei dem Vorhaben gleich mehrere technische Probleme. Zum einen sei die Irische See sehr tief, so dass es äußerst schwierig wäre, Brückenpfeiler im Meeresboden zu befestigen. Zum anderen sei das Gebiet im Zweiten Weltkrieg als Offshore-Munitionslager genutzt worden. Und dann ist da noch das Wetter. Wegen den starken Stürmen, die über die Irische See fegen, hätte die 45 Kilometer lange Brücke wohl des Öfteren geschlossen werden müssen.

      In der von Johnson beauftragten Untersuchung wurde deshalb auch ein Tunnel für Autos oder Züge geprüft, obwohl Johnsons ehemaliger Chefberater Dominic Cummings die Idee mal als "dümmsten Tunnel der Welt" bezeichnet hatte. Nun wurde auch diese Idee verworfen: Technisch kaum zu machen - und überhaupt viel zu teuer.

      Johnson hatte vor drei Jahren zum ersten Mal über eine Verkehrsverbindung zwischen Schottland und Nordirland gesprochen. Und seitdem immer wieder. Das britische Finanzministerium war von Anfang an skeptisch. Die Kosten von mehreren Milliarden Pfund seien sehr schwer abzuschätzen, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Als der Schatzkanzler im Oktober den Bericht über die geplanten Ausgaben der kommenden drei Jahre vorlegte, tauchte Johnsons Idee nicht auf.

      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Stimmungstest für Großbritannien - Diese Wahl könnte über Johnsons Schicksal entscheiden

      In weiten Teilen Großbritanniens laufen die Regionalwahlen. Für Boris Johnsons Karriere könnte das Ergebnis zu einem Wendepunkt werden. Konservative Lokalpolitiker distanzieren sich von dem Premierminister.

      Bei der ersten großen Abstimmung seit der "Partygate"-Affäre haben zahlreiche Menschen in Großbritannien über die Neugestaltung ihrer örtlichen Parlamente entschieden. Die Wahl von Tausenden Gemeinde- und Bezirksräten in England, Schottland und Wales gilt als wichtiger Stimmungstest für Premierminister Boris Johnson, der seit Monaten wegen des Skandals um Lockdown-Feiern im Regierungssitz in der Kritik steht. Seine Tory-Partei ist außerdem geplagt von einer Reihe weiterer Vorwürfe, darunter Sexismus- und Korruptionsfälle.

      Der Premier selbst gilt wegen seiner Verstrickung in die Affäre zunehmend als Belastung für seine konservative Partei. Vielerorts distanzierten sich Kandidaten von Johnson und traten demonstrativ als "örtliche Konservative" an, wie die Zeitung "Guardian" berichtete. In der nordostenglischen Stadt Hartlepool hätten die Torys die Wähler auf Flugblättern gebeten, sie nicht für die Fehler der Regierung zu bestrafen. "Wir kommen von hier und sind stolz darauf, wo wir leben", hieß es demnach.

      Parteikollegen wollten Regionalwahl abwarten

      Erwartet wird, dass die Torys empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Das gilt etwa im Londoner Bezirk Wandsworth oder in der Küstenstadt Southampton als möglich. Doch ob sich Johnson um seine Chancen auf Wiederwahl beim nächsten nationalen Urnengang sorgen muss, dürfte vor allem davon abhängen, wie die Torys im Vergleich zu den Wahlergebnissen der vergangenen Jahre abschneiden.

      Je nachdem, wie verheerend die Wahlen für die Konservativen ausgehen, könnte Johnsons Position in der eigenen Fraktion infrage gestellt werden. Einige Parteikollegen, die ihren Parteichef seit der "Partygate"-Saga nicht mehr für tragbar halten, wollten die Wahlen abwarten, bis sie entscheiden, ob sie Johnson ihr Misstrauen aussprechen.

      Johnson, der selbst direkt nicht zur Wahl steht, gab am Donnerstag in der Nähe seines Amtssitzes in der Downing Street als einer der ersten Wähler seine Stimme ab. Sein Londoner Bezirk Westminster wird bisher von der Konservativen Partei regiert, aber gilt auch als einer der am stärksten umkämpften Wahlkreise. Oppositionsführer Keir Starmer, der hofft, von den Problemen der Torys profitieren zu können, gab am Morgen mit seiner Frau im Norden Londons seine Stimme ab. Auf Zugewinne können auch die Liberaldemokraten hoffen.

      Ergebnisse für Freitag erwartet

      Wie schon bei vorherigen Wahlen setzten viele Wählerinnen und Wähler ihre tierischen Begleiter in den sozialen Medien in Szene: Unter dem Hashtag #dogsatpollingstations sammelten sich etliche Fotos von Hunden, die neben Wahllokalen auf ihre Herrchen oder Frauchen warten.

      Die Wahlberechtigten – dazu gehören in Schottland und Wales auch bereits 16- und 17-Jährige – sollten bis 23.00 Uhr (MESZ, 22.00 Uhr Ortszeit) Zeit haben, ihre Stimme abzugeben. Ergebnisse werden erst im Laufe des Freitags erwartet.

      Quelle: t-online

      In Nordirland bahnt sich eine kleine Revolution an

      Die Zwischenwahlen in Großbritannien sind ein Stimmungstest für Boris Johnson. Der Blick geht aber vor allem nach Nordirland. Dort könnte erstmals eine auf Wiedervereinigung gerichtete Partei gewinnen.

      Das politische London blickt an diesem Donnerstag vor allem auf die Neuverteilung kommunaler Mandate, die in vielen Teilen Englands sowie in Schottland und Wales ansteht. Fast zweieinhalb Jahre nach dem fulminanten Wahlsieg Boris Johnsons wird sie die Stimmung an der Basis widerspiegeln. Viel zu erwarten haben amtierende Regierungen von solchen „Zwischenwahlen“ in der Regel nicht – das Bedürfnis der Wähler, ihren Unmut kundzutun, ist in der Mitte einer Legislaturperiode traditionell ausgeprägt. In diesem Jahr könnten Johnsons Konservative in den Städten und Gemeinden besonders viele, vielleicht sogar bedrohliche und schmerzhafte Verluste verzeichnen.

      Nach zahlreichen Affären, nicht zuletzt um die Lockdown-Partys in der Downing Street, wollen laut Umfragen viele Briten dem Premierminister einen Denkzettel verpassen. Hinzu kommen die Sorge wegen der sich verteuernden Lebenshaltungskosten, insbesondere der Energiepreise, und der Ärger über die Erhöhung der Versicherungsabgabe. Johnson hat sich zwar aus seinem Tief vom Anfang des Jahres emporgearbeitet, auch weil er sich in der Ukrainekrise als führungsstarker Premierminister zeigt. Gleichwohl rechnen Meinungsforscher mit herben Verlusten für die Tories. Dies könnte die Debatte über einen Führungswechsel neu entfachen.

      Sinn Fein repräsentiert nicht mehr als ein Viertel der Wähler
      Gleichsam im Windschatten des nationalen Dauerdramas um Johnson liegt die Aufmerksamkeit für Nordirland. Auch dort wird gewählt, und zwar das Parlament in Belfast. Sollten die Umfragen recht behalten, ist in der politisch fragilen Provinz mit einer kleinen Revolution zu rechnen. Zum ersten Mal seit Nordirland vor einem Jahrhundert von der neuen Irischen Republik abgespalten wurde, könnte eine nationalistische, also auf Wiedervereinigung gerichtete Partei, die Sinn Fein, die Wahlen gewinnen. Potentiell wirft dies Verfassungsfragen auf, die in ihrer Bedeutung den Stimmungstest für Johnson bei Weitem übersteigen.

      In ihrem Wahlprogramm wirbt die Sinn Fein für die Festlegung eines Referendumtermins. Sie will von den Bürgern klären lassen, ob sich Nordirland mit der Republik im Süden vereinigen soll. Die Partei-„Präsidentin“, Mary Lou McDonald, propagiert schon seit Längerem einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Beobachter wie Denis Staunton von der (in Dublin herausgegebenen) „Irish Times“ winken allerdings ab. „Das wird nicht passieren“, sagt er.

      Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Ansetzen einer Volksabstimmung („Border Poll“) obliegt laut des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 drei Jahrzehnte Bürgerkrieg beendet wurden, der Regierung in London. Diese darf sich dem Ansinnen nicht verwehren, wenn es Aussicht auf Erfolg hat. Das aber ließe sich aus einem Sieg der Sinn Fein nicht ableiten. Selbst als stärkste Partei repräsentiert sie vermutlich nicht mehr als ein Viertel der Wähler. Tatsächlich droht die Sinn Fein in absoluten Zahlen sogar schlechter abzuschneiden als 2017. Umgekehrt sieht die bisher stärkste Kraft, die Democratic Unionist Party (DUP), zwar einem Wählereinbruch entgegen, nicht aber das große Lager der nach London orientierten Unionisten. Die DUP verliert vor allem Wähler an die radikale Abspaltung Traditional Unionist Voice (TUV). Eine Wiedervereinigung wird zurzeit von nicht einmal einem Drittel der Nordiren gewünscht. Priorität hat das Thema sogar nur für jeden Sechsten.

      Entsprechend zurückhaltend präsentierte sich die Sinn Fein im Wahlkampf. Ihre Themen waren die steigenden Lebenshaltungskosten, die Probleme im Gesundheitswesen und die Funktionsfähigkeit des nordirischen Regierungssystems. Es ist die DUP, die das verfassungspolitische Ziel der Sinn Fein stets, zuletzt bei der Fernsehdebatte am Dienstag, in Erinnerung brachte – zu Abschreckungszwecken.

      Selbst wenn die Sinn Fein, die lange Jahre als der „politische Arm“ der IRA bezeichnet wurde, stärkste Partei wird, ist alles andere als ausgemacht, dass Michelle O’Neill auch „First Minister” wird. Der Friedensvertrag sieht vor, dass die größte Partei eine Koalition mit der größten Partei des rivalisierenden Lagers bilden muss. Im vergangenen Vierteljahrhundert stellte stets eine unionistische Partei den Regierungschef und die Sinn Fein den Stellvertreter. Immer wieder brach dieses „Power Sharing Agreement“ zusammen, weil entweder die Sinn Fein oder, wie im Februar, die DUP die Regierung verließ. In den vergangenen fünf Jahren wurde Nordirland lange auf Ministerebene verwaltet.

      Gewachsene Nervosität in Nordirland

      So könnte es bleiben. Denn die DUP in Gestalt ihres Spitzenkandidaten Jeffrey Donaldson hat deutlich gemacht, dass sie sich einer Regierungsbeteiligung verweigern wird, solange das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens nicht geändert ist – gemeint sind vor allem die Kontrollen an der neuen Warengrenze zwischen Nordirland und Großbritannien. Dies wiederum wird kaum in Belfast entschieden, sondern zwischen London und Brüssel verhandelt. Die komplizierten Belfaster Statuten lassen den beiden Parteien bis zum November Zeit, zu einer Einigung zu kommen. Die meisten glauben, dass es zumindest bis dahin keine Regierung geben wird. „Zu erwarten ist eine weitere Phase nordirischer Unordnung“, sagt Peter Sheridan von der „Co-Operation Ireland“, einer Organisation, die sich seit vielen Jahren um die Verständigung zwischen dem nationalistischen und dem unionistischen Lager bemüht.

      Sheridan, früher stellvertretender Polizeipräsident Nordirlands, befürchtet in den nächsten Monaten kleinere Straßenunruhen, aber keinen allgemeinen Gewaltausbruch. Er macht vor allem den Brexit für die wieder gewachsene Nervosität in Nordirland verantwortlich. Erst die Erschütterung des EU-Austritts habe die „Border-Poll-Frage“ aufgebracht. Die DUP habe sich schwer verkalkuliert mit ihrem Einsatz für den Brexit, der den Unionismus wegen des neuen Sonderstatus Nordirlands geschwächt habe – dafür werde die Partei jetzt von den Wählern bestraft. Umgekehrt nutzte die Sinn Fein den Brexit, um die Verfassungsfrage wieder auf die Tagesordnung zu setzen – ähnlich wie die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon den Brexit zur Begründung eines neuen Unabhängigkeitsreferendums heranzog.

      Eine Unabhängigkeit Schottlands oder auch eine Regierungsübernahme der Sinn Fein in Dublin drohten die politische Dynamik in Nordirland weiter zu verstärken, aber eine formale Wiedervereinigung sieht Sheridan gleichwohl in einiger Ferne. Niemand hätte bislang auch nur angedacht, welche Form ein vereinigtes Irland haben könnte. Einem Wahlsieg der Sinn Fein, glaubt Sheridan, komme eher eine „psychologische Wirkung“ zu.

      Praktische Auswirkungen dürfte er dagegen auf die Regierung in London haben. Bislang stützte sie sich in ihren Verhandlungen mit der EU über eine Änderung oder Abschaffung des Nord­irland-Protokolls auf die Forderungen der größten Partei (und – sofern gerade im Amt – des Ministerpräsidenten) Nordirlands. Die Anführerinnen der Sinn Fein hingegen, die wie die Mehrheit der Nordiren gegen den Brexit gestimmt hatten, unterstützen das Protokoll – nicht zuletzt weil es aus ihrer Sicht der weiteren Schwächung des Unionismus dient.

      Quelle: Frankfurter Allgemeine

      Wie Schottlands Regierungschefin ihr Land von Großbritannien lösen will

      Für den britischen Premierminister Boris Johnson kommt der erneute Wunsch der Schotten nach Unabhängigkeit zur Unzeit. Für Nicola Sturgeon, First Minister im schottischen Regionalparlament und resolute Anführerin der Scottish National Party (SNP), ist ein erneutes Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich dagegen überfällig.

      Die 51-Jährige fackelt deshalb nicht lange und kündigte am Dienstag für den 19. Oktober nächsten Jahres eine zweite Volksbefragung ihrer 5,5 Millionen Landsleute über die Unabhängigkeit von Großbritannien an. „Jetzt ist die Zeit für die Unabhängigkeit Schottlands“, sagte die Regierungschefin vor dem Regionalparlament in Edinburgh.

      Zunächst will Sturgeon jedoch auf dem Verhandlungsweg erreichen, dass Johnson einer erneuten Volksabstimmung zustimmt. Der Premier hat den Wunsch bislang mit dem Hinweis abgelehnt, dass das Referendum von 2014 „einmalig für eine Generation“ gewesen sei. Damals hatte sich eine Mehrheit von 55 Prozent der Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden.

      Sollte Johnson, was zu erwarten ist, bei seinem Nein bleiben, will Sturgeon im schottischen Parlament ein Gesetz für ein konsultatives Referendum einbringen. Das Ergebnis hätte, anders als 2014, zwar keine bindende Wirkung und müsste durch die Parlamente in London und Edinburgh gesetzlich verankert werden. Politisch wäre ein Ja zur Unabhängigkeit jedoch ein starkes Signal, an dem auch London nicht vorbeikäme.

      Da aber unter Verfassungsrechtlern umstritten ist, ob das schottische Regionalparlament überhaupt ohne Erlaubnis aus London eine neue Volksbefragung auf den Weg bringen kann, will Sturgeon das Vorhaben zunächst vom britischen Verfassungsgericht prüfen lassen. Dem Urteil will sich die SNP-Vorsitzende zwar beugen. „Wir respektieren den Rechtsstaat“, sagte die Politikerin. Sollten aber auch die Richter den Schotten die kalte Schulter zeigen, soll die Unabhängigkeit zum Topthema der nächsten Parlamentswahlen in Großbritannien gemacht werden, die wahrscheinlich 2024 stattfinden werden.

      Der Brexit hat viele Schotten erzürnt

      Bis zur Unabhängigkeit ist es also noch ein weiter und steiniger Weg. Die Lage ist heute jedoch anders als 2014. Nicht nur hat der Brexit viele Schotten erzürnt, die viel lieber Mitglied der EU geblieben wären und auch mit über 60 Prozent dafür gestimmt hatten. Auch der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten, gegen den die Regierung in London bislang kein Rezept gefunden hat, hat den Wunsch im Norden wiederbelebt, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

      „Schottland zahlt einen Preis dafür, dass es nicht unabhängig über sein Schicksal entscheiden kann“, rief Sturgeon der Regierung in Westminster zu. Die jüngste Meinungsumfrage von Ipsos Mori von Ende Mai sieht Befürworter und Gegner einer Unabhängigkeit fast gleichauf.


      Im Londoner Regierungsviertel stoßen die Rufe aus Edinburgh auf taube Ohren. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über ein weiteres Referendum zu sprechen“, wischte ein Regierungssprecher das Ansinnen vom Tisch. Die Menschen in Schottland wollten, dass ihre beiden Regierungen zusammenarbeiteten und sich unermüdlich auf die wirklich wichtigen Themen konzentrierten.

      Dass London jetzt nicht über die schottische Unabhängigkeit diskutieren will, hat jedoch auch politische Gründe: Seit dem Sieg der nationalistischen Sinn Fein Partei bei den Regionalwahlen in Nordirland wird auch dort wieder laut über eine Vereinigung der nordirischen Provinz mit der Republik im Süden nachgedacht. Sturgeon weist zudem darauf hin, dass Nordirland als Mitglied des EU-Binnenmarkts wirtschaftlich viel besser dastehe als viele andere Regionen in Großbritannien.

      Auch Schottland könne unabhängig florieren, behauptet eine neue Studie der Regierung in Edinburgh. Eine sich gegenseitig verstärkende Unabhängigkeitsbewegung im Westen und Norden des Königreichs würde die ohnehin durch Skandale und Wirtschaftskrise angeschlagene Regierung Johnsons zusätzlich schwächen.

      Breite Debatte über die Demokratie

      Sturgeon will den britischen Premier deshalb weiter unter Druck setzen und die Frage der Unabhängigkeit Schottlands zu einer breiten Debatte über die Demokratie machen. „Die schottische Demokratie darf nicht zum Gefangenen von Boris Johnson werden“, stichelte die Schottin gegen ihren Widersacher in London.

      Selbst wenn die gewiefte Taktikerin mit ihrem Schachzug die juristischen Hürden meistern kann, sicher kann sie sich auch dann nicht sein, die Abstimmung zu gewinnen. Gerade viele wirtschaftliche Fragen sind ungelöst: Würde Schottland dem Euro beitreten oder das Pfund behalten? Wie würden die Handelsbeziehungen zwischen zwei Regionen geregelt, die seit 315 Jahren eine politische und wirtschaftliche Einheit bilden?

      Das Beispiel Nordirland, wo London und Brüssel nach dem Brexit immer noch darüber streiten, wie sie Unabhängigkeit und Freihandel unter einen Hut bringen können, animiert nicht gerade zur Nachahmung. Die politischen Risiken sind also enorm – nicht nur für Schottland. Eine erneute Niederlage bei einem Referendum würde Sturgeon wohl politisch nicht überleben.

      Quelle: Handelsblatt