EU-Referendum / Brexit

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    Es gibt 435 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von The Flying Scotsman.

      Nach Johnsons Brexit-Manöver Schottische Tory-Chefin tritt zurück

      Sie gilt als Kritikerin von Boris Johnson und als Gegnerin eines harten EU-Austritts: Jetzt tritt Ruth Davidson als schottische Tory-Chefin zurück. Als Grund gibt sie die Geburt ihres Sohnes an - und den Brexit.

      Über ihren möglichen Rücktritt war bereits spekuliert worden, jetzt gibt es Gewissheit: Ruth Davidson zieht sich aus der britischen Spitzenpolitik zurück. Das teilte die schottische Tory-Chefin mit. Davidson führt vor allem private Gründe für diese Entscheidung an. Im Oktober 2018 ist sie Mutter eines Sohnes geworden. "Ich fürchte, dass ich mich beim Versuch eine gute Anführerin zu sein, über die Jahre als schwache Tochter, Schwester, Partnerin und Freundin gezeigt habe", schrieb Davidson in einem Brief an ihre Partei.

      Allerdings macht Davidson auch keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik. Sie habe nie den Konflikt verheimlicht, in dem sie sich in Sachen Brexit befinde, schrieb sie. Davidson hatte 2016 gegen den Brexit gestimmt. Sie zählt zum Lager der Moderaten unter den Tories - anders als Premierminister Boris Johnson, der auf einen ungeregelten EU-Austritt zusteuert.

      Johnson löste gerade erst mit seiner Ankündigung Empörung aus, das Parlament kurz nach Ende der Sommerpause für einige Wochen auszusetzen.

      Auf diese Weise wird es den Abgeordneten deutlich erschwert, einen Brexit ohne Abkommen mit der EU zu verhindern. Stand jetzt verlassen die Briten am 31. Oktober die Europäische Union.

      Was will Johnson?

      Vor Journalisten forderte Davidson die Abgeordneten des Unterhauses dazu auf, für einen Deal mit der EU zu stimmen - um einen harten Brexit zu verhindern. Das Parlament hatte bislang drei Mal gegen ein von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit Brüssel ausgehandeltes Abgekommen votiert. Der Regierungschef habe ihr versichert, dass er versuche, einen Deal zu bekommen.

      Johnson fordert dafür von Brüssel aber weitreichende Zugeständnisse. Die EU wiederum ist bislang nicht bereit, die bestehenden Vereinbarungen noch einmal aufzuschnüren. In Großbritannien bezweifeln deshalb viele, dass Johnson sich tatsächlich Hoffnungen auf ergiebige Verhandlungen macht.

      In Schottland hatte die klare Mehrheit der Wähler beim Referendum 2016 gegen den EU-Austritt gestimmt. Viele Schotten sehen sich von London in eine katastrophale Situation gedrängt. Der Brexit-Streit hat deshalb der schottischen Unabhängigkeitsbewegung neuen Schwung verliehen. Die Regionalregierung wird bereits von der separatistischen SNP geführt. Die schottischen Tories lehnen eine Abspaltung vehement ab - trotzdem vertreten sie vergleichsweise liberale Positionen unter den Konservativen.

      Quelle: Spiegel Online

      Alternative für den Backstop - Und plötzlich scheint ein Brexit-Deal doch noch möglich

      Die Zeit wird knapp für Großbritannien und die EU: Wieder naht ein Austrittstermin, wieder kommen die Verhandlungen kaum vom Fleck. Nun aber wird vielleicht ein Ausweg diskutiert. Gibt es eine Chance?

      Eigentlich kam Boris Johnson mit kaum mehr als leeren Händen nach Brüssel. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterrichtete am Mittwoch das Europaparlament über sein Treffen mit dem britischen Premierminister und sagte dabei, dass die EU noch immer auf konkrete Vorschläge aus London warte, wie denn der umstrittene Backstop ersetzt werden könne. Nur sechs Wochen vor dem Austrittsdatum sieht Juncker unverändert die Gefahr eines Chaos-Brexits: "Das Risiko eines No-Deal bleibt sehr real."

      Und dennoch gibt es vielleicht wieder so etwas wie Hoffnung, dass das britische Austritts-Drama am Ende doch glimpflicher ausgeht als befürchtet. Juncker sprach vor den Abgeordneten nun auch offiziell von neuen "Verhandlungen" mit der britischen Seite – obwohl die EU das lange ausgeschlossen hatte. Und er sagte auch: "Ich habe keine emotionale Bindung an den Backstop."

      Die britische Seite wird das gern gehört haben. Und tatsächlich wird nun offenbar eine Option in den Verhandlungen besprochen, die schon früher einmal Thema war: Ein Sonderstatus für Nordirland nach dem Brexit. Von einer "Northern-Ireland-only"-Lösung berichtet die "Süddeutsche Zeitung" – einem Sonderwirtschaftsraum Nordirland also, der sich auch künftig weitgehend an EU-Regeln halten soll. Das britische Verhandlungsteam habe auch ausgearbeitete Papiere mit nach Brüssel gebracht, heißt es in dem Bericht.

      Kann es ohne Backstop klappen?

      Der Backstop, die von der EU geforderte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, ist der Dreh- und Angelpunkt im Streit zwischen London und Brüssel. Johnson will die Klausel streichen, nach der Großbritannien so lange in der EU-Zollunion bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Johnson scheut die enge Bindung an die EU, die seinem Land eine eigene Handelspolitik verwehren würde. Wie er aber ohne den Backstop eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern will, das hat er bislang noch nicht gesagt.

      Juncker ließ Johnson am Mittwoch die Tür für eine gemeinsame Lösung offen. Allerdings bestand er darauf, dass die mit dem Backstop verbundenen Ziele erfüllt werden müssten. Deshalb habe er Johnson gebeten, schriftlich Alternativen vorzulegen. Die Verhandlungen sollten auf politischer Ebene geführt werden, also von EU-Chefunterhändler Michel Barnier.

      Barnier selbst sagte ernsthafte Verhandlungen zu und warnte gleichzeitig noch einmal eindrücklich vor den erheblichen Folgen eines Brexits ohne Vertrag. Befürchtet werden unter anderem Versorgungsengpässe in Großbritannien und eine Konjunkturdelle, aber auch Jobverluste in Deutschland, wie der Industrieverband BDI in Erinnerung rief.

      EU-Parlament ist für weiteren Aufschub


      Das EU-Parlament plädierte am Mittwoch für einen weiteren Aufschub des Brexits, um einen chaotischen Bruch Ende Oktober abzuwenden. Die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke räumte in der Debatte im Europaparlament ein, zwar hätten viele Menschen inzwischen die Nase voll von dem Thema. Doch wäre es ein "Alptraum", wenn der Aufschub nicht gewährt würde. Nötig sei mehr Zeit, um einen Ausweg aus der Blockade zu finden.

      Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García Pérez sagte: "Wenn Großbritannien noch mehr Zeit braucht oder ein neues Referendum durchführen möchte, können sie auf unsere Unterstützung zählen." Und auch der Fraktionschef der Christdemokraten, Manfred Weber, meinte: "Die Bürger in Großbritannien sollten über die Zukunft entscheiden." Das EU-Parlament stimmte dann mit 544 zu 126 Stimmen für eine Resolution, die einen weiteren Aufschub in Aussicht stellt.

      Schottland will sich loslösen

      In der unklaren Lage sechs Wochen vor dem Brexit-Termin 31. Oktober treibt Schottland seine eigene Agenda voran. Regierungschefin Nicola Sturgeon sprach sich bei einem Besuch in Berlin für ein neues Unabhängigkeitsreferendum schon im nächsten Jahr aus. "Ich würde vorhersagen, dass Schottland in den nächsten Jahren unabhängig wird und zu einem unabhängigen Mitglied der EU wird", sagte Sturgeon. Die Schotten hatten beim Brexit-Referendum 2016 mehrheitlich gegen den EU-Austritt gestimmt, und Sturgeon stemmt sich gegen den harten Kurs von Premierminister Johnson.

      Der Regierungschef will den EU-Austritt unbedingt am 31. Oktober durchziehen, ob mit oder ohne Austrittsvertrag. Das britische Parlament hat ihn eigentlich verpflichtet, entweder bis 19. Oktober eine Einigung mit der EU zu erzielen oder einen weitere Fristverlängerung bis Ende Januar zu beantragen. Den Aufschub schließt Johnson allerdings aus – ohne zu sagen, wie das ohne Gesetzesbruch möglich sein soll. Stattdessen verbreitet er Zuversicht, ein Deal mit Brüssel werde beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober klappen.


      Quelle: t-online

      Zehntausende Schotten demonstrieren für Unabhängigkeit

      Weit mehr Menschen als erwartet haben in der Hauptstadt Edinburgh dafür demonstriert, dass Schottland sich vom Vereinigten Königreich lösen solle. Die Veranstalter sprechen von über 200.000 Teilnehmern.

      Die Teilnehmer schwenkten blau-weiße schottische Flaggen, einige Demonstranten trugen Schottenrock oder spielten auf dem Dudelsack. Nach Angaben der Veranstalter nahmen rund 200.000 Menschen an der Demonstration in der schottischen Hauptstadt teil, weit mehr als erwartet.

      "Was für ein Tag! 250.000 hinter uns marschieren für Unabhängigkeit", twitterte die Abgeordnete der Schottischen Nationalpartei (SNP), Joanna Cherry, von der Demonstration. Die Zahl der Teilnehmer könnte etwas hoch gegriffen sein: Bei einem ähnlichen Marsch im vergangenen Jahr hatten die Organisatoren von rund 100.000 Demonstranten gesprochen - die Lokalregierung schätzte die Teilnehmerzahl damals hingegen auf etwa 20.000.

      Die schottische Regierungschefin und SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon strebt für das Jahr 2021 ein neues Referendum über die Unabhängigkeit an. Sturgeon erklärte auf Twitter ihre Unterstützung. Sie war nach eigenen Angaben zwar nicht persönlich, aber "im Geiste" anwesend. An die Teilnehmer gerichtet schrieb sie: "Habt einen großartigen Tag. Und zweifelt nicht daran: Die Unabhängigkeit kommt."

      Bei einer Volksabstimmung 2014 hatten sich 55 Prozent der Teilnehmer für einen Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden. Allerdings weisen die Befürworter der Unabhängigkeit darauf hin, dass damals noch nicht das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU stattgefunden hatte. Beim Brexit-Referendum im Juni 2016 hatten sich in Schottland 62 Prozent der Teilnehmer gegen einen Austritt aus der EU ausgesprochen.

      Quelle: Spiegel Online


      "Die Geschichtsschreiber aus England werden mich einen Lügner nennen, aber Geschichte wird von jenen geschrieben, die ihre Helden gehängt haben."

      Politisches Patt im Brexit-Streit: Schotten signalisieren Unterstützung für Labour-Minderheitsregierung

      Schottlands Regierungschefin Sturgeon kann sich vorstellen, die Minderheitsregierung unter Labour-Chef Corbyn zu stützen - wenn er eine Bedingung erfüllt.

      Die Schottische Nationalpartei SNP will eine mögliche Labour-Minderheitsregierung nur unterstützen, wenn diese ein zweites Referendum der Schotten über eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich zulässt. Das berichtet die "Financial Times". Die schottischen Abgeordneten im Londoner Parlament seien bereit, Labour-Chef Jeremy Corbyn zu unterstützen, da dies die einzige Möglichkeit sei, einen Brexit ohne Vertrag garantiert zu verhindern.

      Die schottische Regierungschefin und SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon strebt für das Jahr 2021 ein neues Referendum über die Unabhängigkeit an (Lesen Sie hier ein Porträt).

      Erst vor einer Woche hatten Zehntausende Menschen in Edinburgh für die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien demonstriert. Die Teilnehmer schwenkten blau-weiße schottische Flaggen, einige Demonstranten trugen Schottenrock oder spielten auf dem Dudelsack. Nach Angaben der Veranstalter nahmen rund 200.000 Menschen an der Demonstration in der schottischen Hauptstadt teil, weit mehr als erwartet.

      Sturgeon erklärte auf Twitter ihre Unterstützung. Sie war nach eigenen Angaben zwar nicht persönlich, aber "im Geiste" anwesend. An die Teilnehmer gerichtet schrieb sie: "Habt einen großartigen Tag. Und zweifelt nicht daran: Die Unabhängigkeit kommt."

      Bei einer Volksabstimmung 2014 hatten sich 55 Prozent der Teilnehmer für einen Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden. Allerdings weisen die Befürworter der Unabhängigkeit darauf hin, dass damals noch nicht das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU stattgefunden hatte. Beim Brexit-Referendum im Juni 2016 hatten sich in Schottland 62 Prozent der Teilnehmer gegen einen Austritt aus der EU ausgesprochen.

      Quelle: Spiegel Online

      Vorbereitungen laufen bereits: Schotten planen 2020 neues Referendum

      2014 stimmen in Schottland 55 Prozent gegen die Unabhängigkeit des Landes und für einen Verbleib in Großbritannien. Nun hat sich die Lage geändert, wie Regierungschefin Sturgeon sagt. Sie plant eine neue Volksabstimmung.

      Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will kommendes Jahr ein Referendum über eine Unabhängigkeit von Großbritannien abhalten. Es stehe "außer Zweifel", dass die Schotten erneut die Wahlmöglichkeit bekommen müssten, sagte Sturgeon beim Parteitag ihrer Scottish National Party (SNP) in Aberdeen. Die gesetzmäßigen Vorbereitungen einer solchen Volksabstimmung seien bereits eingeleitet worden. Bis zum Jahresende wolle sie die notwendigen Befugnisse für ein Referendum einholen.

      Die schottische Regierung muss für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum die Zustimmung des britischen Parlaments in London einholen. Das schottische Parlament hatte sich bereits 2017 für das Referendum ausgesprochen, die damalige britische Premierministerin Theresa May hatte allerdings erklärt, dass nun "nicht die Zeit" dafür sei.

      In ihrem ersten Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 hatten sich 55 Prozent der Schotten für den Verbleib in Großbritannien ausgesprochen. Sturgeon macht aber geltend, dass sich die Lage nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt grundlegend geändert habe. Während das Referendum vom Juni 2016 landesweit ein knappes Ja zum Brexit ergeben hatte, stimmten in Schottland fast zwei Drittel der Bürger für einen Verbleib in der EU.
      Hälfte der Umfrage-Teilnehmer ist für Austritt

      Eine diese Woche von der "Sunday Times Scotland" veröffentlichte Umfrage ergab, dass mittlerweile 50 Prozent der schottischen Bürger für eine Unabhängigkeit von Großbritannien sind. Das ist ein Prozentpunkt mehr als im Juni. Am Samstag hatten in der schottischen Hauptstadt Edinburgh zehntausende Menschen für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum demonstriert.

      Der britische Premierminister Boris Johnson, der sein Land am 31. Oktober mit oder ohne Abkommen mit Brüssel aus der EU führen will, reagierte kühl auf Sturgeons Pläne. "Das Referendum, das in Schottland stattfand, war ein für eine Generation ein einmaliges Ereignis", sagte Johnsons Sprecher vor Journalisten. Dies habe Sturgeons SNP damals selbst erklärt.

      Quelle: ntv

      Schottland zwischen Brexit und Unabhängigkeit: «Unser Verhältnis zur EU soll nicht so sein wie das zu Indien»

      Das Brexit-Chaos befeuert den Wunsch nach einer Unabhängigkeit Schottlands. Für schottische Unternehmen ist die Lage doppelt verzwickt und unsicher. Zwei Chefs berichten.

      Keiner kann sagen, die Schotten seien nicht geschäftstüchtig. Deshalb musste im Jahr 1820 auf einem Friedhof in Edinburg ein steinerner Wachturm errichtet werden. Zu jener Zeit waren die medizinischen Institute der schottischen Hauptstadt europaweit führend auf dem Gebiet der Anatomie, und für diese Forschung brauchte man Leichen – pro Jahr etwa zehnmal mehr als jene fünfzig Kriminellen, die gehängt wurden. Die Körper wurden von skrupellosen «Lieferanten» kurzerhand aus ihren Gräbern gegraben, was die Wachen verhindern sollten.

      EU oder Königreich?

      Mittlerweile ist das Geschäft mit Leichen in Schottland einen verdienten Tod gestorben. Dafür werden nun alte Ideen aus ihren Gräbern geholt, und auch über neue Wachtürme wird nachgedacht. Nicht auf Friedhöfen, sondern an der Grenze zu England. Grund sind der Brexit und die schottische Unabhängigkeit. Die Bevölkerung des britischen Nordens votierte im Juni 2016 beim Brexit-Referendum mit 62% der Stimmen gegen den EU-Ausstieg. Schottland möchte Teil der EU bleiben. Daran hängt die Frage, ob es auch Teil des Vereinigten Königreiches bleiben will. Im Jahr 2014 waren bei einer Volksabstimmung 55% der Schotten dafür, aber da sprach noch niemand vom Brexit. Jetzt trommeln die Nationalisten für eine zweite Abstimmung.

      Wie es mit dem Brexit weitergeht, steht auf der Kippe. London und Brüssel unternehmen einen letzten Versuch, sich auf eine Lösung für die innerirische Grenze zu einigen, um in wenigen Wochen einen geregelten Ausstieg zu ermöglichen. Doch auch wenn die Einigung gelingt, ist nicht klar, ob sie es durch das britische Parlament schafft. Und nach einem Ausstieg muss erst noch verhandelt werden, wie die Handelsbeziehung zur EU letztlich aussieht, wenn eine mehrjährige Übergangsphase ausläuft.
      Frustrierende Hängepartie

      Die Frage nach dem bestmöglichen Ausweg ist schwer zu beantworten. «Wenn es eine Partei gibt, die verspricht, gar nichts zu tun, würde ich für sie stimmen», sagt etwas ratlos Tim Dew, der in Edinburg ein Softwareunternehmen führt. Michael Field, der dort einen Druckdienstleister gegründet hat, wünscht sich vor allem Klarheit: «Viele schottische Unternehmer waren für den Verbleib in der EU. Aber jetzt würden sie wohl lieber zur Not ohne ein Abkommen aussteigen, als immer mutmassen zu müssen, was die nahe Zukunft bringt», sagt er. Einen No-Deal-Brexit hält Field inzwischen für besser als einen weiteren langen Aufschub. Aber er gibt auch zu: «Der Status quo wäre schön, ohne Zölle auf Importe.»

      Das Brexit-Durcheinander fordert einen Tribut. Field leitet Workflo Solutions, eine Firma mit 20 Mitarbeitern, die Drucker, Scanner und Kopierer an Betriebe verleiht und Support anbietet, etwa zur Digitalisierung des Rechnungswesens. 2000 seiner Drucker stehen bei 700 Kunden. Jüngst hat Field in Spanien Ersatzteile bestellt, seine wichtigsten Zulieferer sind im Ausland. Die Rechnung über 14 000 € war aber fehlerhaft und musste ein paarmal überarbeitet werden. Während das geschah, brach der Pfundkurs ein, weil Premierminister Boris Johnson in einer Brexit-Rede einen falschen Ton angeschlagen hatte. Die Bestellung wurde für Field schlagartig teurer.

      Es war nicht das erste Mal, dass der 39-jährige Unternehmer den EU-Ausstieg in der Kasse spürte. Schon vor einem halben Jahr drohte ein ungeregelter Brexit, und Field tat, was viele Firmen taten: Er stockte das Lager auf, um sich gegen einen Unterbruch der Lieferketten abzusichern, falls die Lastwagen in den Zollkontrollen hängenbleiben sollten. Statt wie üblich Ersatzteile im Wert von 150 000 £ vorzuhalten, stockte er auf 250 000 £ auf. «Wir hatten zum Glück das nötige Geld», sagt Field. Den hohen Lagerbestand hat er seither gehalten. Aber irgendwann muss das Lager aufgefüllt werden, und wenn der Wechselkurs dann ungünstig sei, könnten das die Kunden über Preiserhöhungen spüren.
      Die Achterbahn führt nach unten

      Der Brexit hat die britische und auch die schottische Wirtschaft ab 2016 zuerst in einen Sinkflug und jüngst auf eine Achterbahnfahrt geschickt. Die von Vorsicht getriebene höhere Lagerhaltung liess das Bruttoinlandprodukt von Januar bis März 2019 noch stark wachsen, doch von April bis Juni folgte der Kater in Form einer Schrumpfung. Die schottische Wirtschaftsleistung sank um 0,3% zum Vorquartal, die erste Kontraktion seit 2016. Bei einem ungünstigen Brexit-Verlauf, vor allem bei einem ungeregelten EU-Austritt, droht ein weitaus grösserer und länger anhaltender Rückgang.

      Michael Field bereitet eine Rezession wenig Sorgen, obwohl er nur auf dem Inlandsmarkt verkauft. Field hat Workflo Solutions im Jahr 2007 gegründet, etwas naiv und aus einem Impuls heraus, wie er sagt. Dann kam die internationale Finanzkrise, die eine Rezession auslöste. «Aber das hat uns geholfen, weil sich die Firmen ihrer Betriebskosten bewusst wurden. Sie waren bereit, ihre Lieferanten zu wechseln.» Es werde immer eine Nachfrage nach seinen Dienstleistungen rund um den Druckbereich geben, meint Field überzeugt.

      Beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 gehörte Field dem Austrittslager an – eine Minderheitenposition in Schottland. Bei Tim Dew ist es anders. Der 47-Jährige stimmte für den Verbleib in der EU. Er sei sein ganzes Leben Unternehmer gewesen, und er habe den Erfolg nicht wegen der wirtschaftlichen Turbulenzen eines EU-Ausstiegs aufs Spiel setzen wollen. «Das war egoistisch, aber ich unterstützte auch das Friedensprojekt, das die EU ist», sagt Dew – wenngleich ihn die Überregulierung aus Brüssel stört.

      Dabei ist Tim Dew nicht einmal Schotte. Michael Field stammt aus Livingston nahe Edinburg, dort sind seine Wurzeln, dort hat er seine Firma aufgebaut, dort will er bleiben. Dew hingegen ist Engländer, studierte aber in Schottland, verliebte sich dort, heiratete und blieb so in Edinburg hängen. Dort gründete Dew vor fast drei Jahren Games Without Frontiers (GWF). Fünf Mitarbeiter zählt GWF, und tatsächlich werden dort Spiele entwickelt, aber nicht für die Freizeit. «Ich wollte eine Umgebung schaffen, die Leuten in nur einem Tag beibringt, wie sie eine Firma optimieren», sagt Dew.

      GWF hat eine Simulation entworfen, bei der Vertreter aus unterschiedlichen Abteilungen eines Unternehmens in einem Raum zusammenkommen und unter grossem Zeitdruck Geschäftsentscheide treffen müssen. Das zwingt die Teilnehmer, das Silodenken ihrer Abteilung aufzugeben, zu kommunizieren und zu kooperieren. Das soll das Verständnis für die Komplexität der Firma und die Empathie untereinander stärken. Ein Spiel sollte es sein, weil Menschen leichter etwas lernten, wenn sie es tatsächlich täten, so Dew. Die Kunden von GWF nutzen das Computerprogramm unter anderem zur Fortbildung, zum Testen von Bewerbern oder zur Verbesserung des Teamworks.
      Sorgenfaktor Bürokratie

      Dew reist oft von Schottland nach London, um das Spiel potenziellen Kunden vorzustellen. Gerade war er bei einem Konsumgüterkonzern, der es zum Training seiner weltweit 7000 Vertriebs- und Marketingvertreter einsetzen könnte. Die Software wird schon ins Niederländische übersetzt, bald folgt Deutsch. Anders als Field denkt Dew an den Export, und der bereitet ihm beim Brexit Sorgen: «Jüngst habe ich acht Tage gebraucht, um die steuerrechtlichen Fragen für den Verkauf unserer Software nach Indien zu verstehen. Ich will nicht, dass es in unserem künftigen Verhältnis zur EU genauso wird», sagt er.

      Obgleich er Engländer ist, dürfte Dew damit vielen Schotten aus der Seele sprechen. Die Unzufriedenheit über den Brexit-Verlauf spiegelt sich in zunehmender Unterstützung einer schottischen Unabhängigkeit. Eine kombinierte Auswertung von sechs in diesem Jahr abgehaltenen Meinungsumfragen fand eine Zustimmung von 49% (unter Auslassung von unentschiedenen Antworten). Im zweiten Halbjahr 2018 betrug die Zustimmung erst 45%. Die Scottish National Party (SNP), welche die Regierung in Edinburg führt, versucht aus dem Brexit-Durcheinander möglichst viel Kapital für ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu schlagen. Dew sagt, er müsse erst noch überzeugt werden, dass es Schottland ohne Mitgliedschaft im Vereinigten Königreich wirtschaftlich besser ergehe

      Auf der anderen Seite: «Meine Identität ist britisch, aber ich verstehe, dass die Schotten wirklich unglücklich über London sind», sagt Dew. Sorgen macht er sich über den Zusammenhalt auf der Insel. Bei der Volksabstimmung im Jahr 2014 habe sich die Aversion gegen den Londoner Politbetrieb manchmal in Aversion gegen England verwandelt. Freunde hätten ihn wegen seines englischen Akzents angebrüllt und als persönlichen Vertreter von Westminster betrachtet. «Ich war immer stolz auf unsere britische Intoleranz gegenüber Intoleranz, aber die Atmosphäre hat sich verändert», so Dew. Er würde wieder neutral bleiben, aber er findet, solch ein Referendum sollte es nur einmal pro Generation geben.

      Der Schotte Michael Field stimmte im Jahr 2014 für den Verbleib im Vereinigten Königreich. Diesmal hofft er, dass so schnell kein zweites Unabhängigkeitsreferendum stattfindet. Nicht nur wegen der möglichen Unruhe an den Finanzmärkten und des Wechselkurses. Workflo Solutions möchte mittels Akquisitionen wachsen. Die Zukäufe sollen im Nordwesten Englands erfolgen, in der Gegend von Manchester. Gespräche werden bereits geführt, mit den Übernahmen soll der Umsatz von derzeit 3 Mio. £ innerhalb von drei Jahren auf 5 Mio. £ wachsen. Durch eine Unabhängigkeit könnte seine Firma dann jedoch unfreiwillig grenzüberschreitend tätig sein. Hoffentlich verlaufen die Verhandlungen zwischen London und Edinburg dann produktiver als die zwischen London und Brüssel, scherzt Field.
      Kein zweites EU-Referendum

      Es gibt nur eine Chance, die Uhr zumindest formal zurückzudrehen: ein zweites Brexit-Referendum, bei dem der Verbleib in der EU obsiegt. Doch hier sind sich die beiden Firmenchefs in ihrer Ablehnung einig – wenn auch nicht bei den Gründen. «Ich nehme an, das Land würde diesmal für den Verbleib stimmen, und dann hätten wir alle Glaubwürdigkeit in Europa verloren», sagt Michael Field. «Unsere Stellung in der EU wäre so schwach, dass es sich gar nicht lohnte, eine zu haben.» Tim Dew hingegen hat ein grundsätzliches Problem: «Ich glaube nicht, dass ein zweites Brexit-Referendum demokratisch wäre. Das erste war Demokratie in Aktion. Ich mochte das Ergebnis nicht, aber es war ein Ergebnis.»

      Unabhängigkeit ist schwieriger als Brexit

      bet. · Könnte Schottland, dessen 5,4 Mio. Einwohner 8% zum Bruttoinlandprodukt der fünftgrössten Industrienation der Welt beitragen, auf eigenen Beinen stehen? Darüber debattierten die Schotten und mit ihnen das ganze Vereinigte Königreich erregt vor der Volksabstimmung im Jahr 2014, deren Ergebnis dem Sezessionsstreben einen starken Dämpfer setzte – vorläufig, denn dann kam der Brexit. Ironischerweise war der Wunsch, Teil der EU zu sein, damals ein Argument gegen die Unabhängigkeit: Ein eigenständiges Schottland würde automatisch aus der EU ausscheiden und müsste den Aufnahmeprozess neu durchlaufen.

      Aber wenn nun der EU-Austritt ohnehin erfolgt, gibt es dann mehr zu gewinnen als zu verlieren? Im internen Wettbewerb des Königreichs kann sich die kleine Nation auf jeden Fall behaupten. Bei einer Umfrage der Wirtschaftsberatung EY kommt Schottland hinsichtlich der Standortattraktivität zusammen mit dem englischen Südosten auf den zweiten Platz hinter London (wenn auch mit grossem Abstand). Doch mit der Unabhängigkeit könnte Schottland einen Trumpf verlieren, nämlich den uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt des Rests des Königreichs, das natürlich noch vor der EU der grösste Handelspartner ist.

      Selbst wenn am Ende ein enges Bündnis gelingt, so werfen Londons gegenwärtige Brexit-Probleme bereits ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen auch Edinburg stünde. Erstens sind die Verknüpfungen mit England selbstverständlich tiefer als die zwischen dem Königreich und der EU: Die Union von England und Schottland entstand im Jahr 1707. Zweitens kann Schottland abgesehen vom Status quo beiden Klubs nicht gleichermassen uneingeschränkt angehören.

      Schottland stünde bei einer Unabhängigkeit vor nochmals grösseren Aufgaben, als sie das Vereinigte Königreich heute «nur» durch den Brexit bewältigen muss. Ein Problem ist die Frage nach einer eigenen Währung. Ein anderes sind die Staatsfinanzen: Das schottische Haushaltsdefizit betrug vergangenes Jahr 7% der Wirtschaftsleistung, und das ist schon der niedrigste Wert der vergangenen fünf Finanzjahre. Würde Schottland unabhängig, könnte es zwar aus geografischen Gründen einen Anspruch auf fast alle Steuereinnahmen aus der Erdöl- und Erdgasförderung in der gegenwärtig britischen Nordsee erheben – aber das ist eine notorisch volatile und wegen der sinkenden Produktion tendenziell abnehmende Quelle.

      Quelle: Neue Zürcher Zeitung

      Unabhängiges SchottlandNächste Scheidung in Planung

      2020 sollen die Schotten laut Regierung aus Nationalisten und Grünen über die Unabhängigkeit abstimmen. Bei einem Referendum 2014 erhielten die Befürworter 45 Prozent. Durch den Brexit könnten es mehr werden.

      Stirling an einem verregneten Oktoberabend. Hier schlägt Schottlands Herz: Im Schatten der Burg, unweit von der Stelle, wo 1297 der „Braveheart“ genannte William Wallace mit seinen Truppen eine übermächtige englische Armee besiegte.

      Auch in diesen Tagen prallen Engländer und Schotten wieder aufeinander, der Brexit ist der Anlass und wie vor mehr als sieben Jahrhunderten geht es um Unabhängigkeit:

      „Schottland sollte unabhängig werden, gleich ob der Brexit kommt oder nicht. Wenn es zum Brexit kommt, sollten wir aber auf jeden Fall erneut unsere Unabhängigkeit fordern.“

      Glaubt Scott, ein junger Softwareingenieur. Ganz anders sieht es der Student Craig. Nach dem Brexit noch eine zweite Scheidung, wäre zu viel:

      „Früher war ich für die schottische Unabhängigkeit. Jetzt mit dem Brexit bereitet sie mir größere Sorgen. Mit dem Brexit haben wir ein großes Paket zu tragen. Wenn Schottland jetzt versucht, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu bekommen, dann macht mir das mehr Angst!“

      Und was sagt des Volkes Stimme, der Taxifahrer in der Hauptstadt Edinburgh zur Unabhängigkeit?

      „Ich hoffe, sie kommt. Das wäre richtig gut in der EU zu bleiben. Ich glaube, die meisten Leute würden für Unabhängig stimmen.“

      Regierungschefin: Gegen unseren Willen die EU verlassen


      Die in Schottland gemeinsam mit den Grünen regierende Schottische Nationalpartei verspürt Aufwind. Beim Referendum vor fünf Jahren stimmten 45 Prozent der Schotten für die Unabhängigkeit. Jetzt könnten es die entscheidenden Prozentpunkte mehr werden, hofft Regierungschefin Nicola Sturgeon gegenüber dem Deutschlandradio:

      „Der Brexit stärkt das Unabhängigkeitsstreben. Wir bekommen mehr Unterstützung. Unseren Platz in Europa können wir am besten schützen, indem wir unabhängig werden. Vor fünf Jahren hat man uns gesagt, dass wir aus der EU fliegen, wenn wir unabhängig werden. Da wir nicht unabhängig sind, werden wir jetzt gegen unseren Willen die EU verlassen. Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.“

      Nicola Sturgeon erfährt dafür viel Zuspruch: Zigtausende demonstrierten unlängst in Edinburgh für die Unabhängigkeit. Es herrschte Volksfeststimmung. Musiker und Politiker, wie die Parlamentsabgeordnete Joanna Cherry, mobilisierten die Massen.

      Unweit der Demo – im schottischen Regionalparlament in Edinburgh – ebnet die Mehrheit aus Nationalisten und Grünen derzeit den Weg für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum.

      „Stand heute ist es verfassungsrechtlich umstritten, ob Schottland die Zustimmung des Vereinigten Königreichs für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum benötigt. Beim letzten Referendum 2014 hatten sich die Regierungen Schottlands und Großbritanniens über die Bedingungen des Unabhängigkeitsreferendums geeinigt, deshalb musste diese Frage nicht geklärt werden. Das bedeutet, dass die schottische Regierung jetzt nicht einfach ein Referendum abhalten kann, bevor die Gerichte nicht entschieden haben.“

      Glaubt die Verfassungsrechtlerin Christine Bell von University of Edinburgh. Vor fünf Jahren hieß es: Ein Referendum pro Generation! Es gilt also als unwahrscheinlich, dass das Parlament in London den Weg für ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum ebnet – es sei denn – ja es sei denn die Labourparty stürzt mit Hilfe der schottischen Nationalisten die Regierung von Premierminister Boris Johnson.

      Dann, so hatten prominente Labourpolitiker signalisiert, sei man im Gegenzug zähneknirschend bereit, den Schotten ein zweites Referendum zu gestatten. Siegt Boris Johnson bei der unweigerlich anstehenden Unterhauswahl jedoch, dürfte er als Vorsitzender der Conservative and Unionist Party – also der Partei der Union, kaum den Weg ebnen.

      Die Gerichte werden dann wohl entscheiden. Zum Zeitpunkt eines möglichen zweiten Unabhängigkeitsreferendums, ist Schottlands First Minister Nicola Sturgeon völlig klar: Sie will kommendes Jahr abstimmen lassen und behauptet die Zustimmung zur Unabhängigkeit läge mittlerweile bei 50 Prozent.

      Also schnell abstimmen oder warten auf 2021, bis die Folgen des Brexits sichtbar sind? Die Meinungsforscher und frühere Fraktionschef der schottischen Nationalisten Angus Robertson von Progress Scotland sagt:

      „Sollte man abwarten, welche Veränderungen der Brexit mit sich bringt, bevor man entscheidet über die schottische Unabhängigkeit? 49 Prozent der Schotten sagen: Ja. Nur 19 Prozent haben mit ‚Nein‘ geantwortet. Also, die Schotten wollen den Brexit nicht, aber wenn es dazu kommt, wollen sie wissen, wie er ausschaut. Deshalb ist auch die Frage, wann es zu einer weiteren Volksabstimmung kommt, eine bestimmende Frage.“

      Brexit bedeutet Unsicherheit

      Zuerst wird mit Sicherheit über den Brexit entschieden. Der bereitet vielen Schotten bei den Entscheidungen in ihrem täglichen Leben Kopfzerbrechen:

      „Ich bin gerade im Begriff, ein Haus zu kaufen und frage mich, ob das ein guter Zeitpunkt ist. Ich war immer Bürgerin Europas und jetzt nicht mehr! Nicht einmal die Regierung kann uns sagen, welche Konsequenzen das mit sich bringt. Es ist eine schrecklich ungewisse Zeit“

      Rachel wohnt im Osten Schottlands – in Dundee – der Brexit sei das Schlimmste, was ihr als Britin und Schottin bisher passiert sei. Auch Alan Waldron ist sauer. Der Dudelsackbauer aus Stirling flüchtet sich in Zynismus:

      „Es ist interessant, dass der Termin auf Halloween fällt. Die Clowns haben ohnehin schon das Kommando in Westminster. Der englische Ausdruck: Die Verrückten übernehmen jetzt die Psychiatrie, trifft auf die nächsten Wochen zu.“

      Ganz anders sieht das die Minderheit von 38 Prozent der Schotten, die 2016 für den Brexit gestimmt haben. Zu ihnen gehört auch dieser 83-jährige Mann aus Tain ganz im Norden:

      „Nicht die einzelnen EU-Länder, aber Brüssel ist korrupt.“


      Den gleichen Satz wiederholt auch die Brexitparty in Schottland regelmäßig. Ein Vertreter ist Jim Ferguson. Er will bei der nächsten Parlamentswahl in Inverness antreten:

      „In meiner Gegend haben 44 Prozent für den EU-Austritt gestimmt – das ist ziemlich viel. Und in Bezirken wie Moray waren es 49,8 Prozent – das räumt uns Chancen ein.“

      SNP will: Verbleib im EU-Binnenmarkt und der Zollunion

      Chancen hat er vermutlich keine. Das Gros der 59 Abgeordneten, die Schottland nach London ins Unterhaus schickt, machen stets Politiker der SNP aus. Die Schottische Nationalpartei regiert das Land seit 2007 mit einer klaren Ausrichtung: Für ein unabhängiges Schottland – und gegen einen Brexit der konservativen Hardliner in London, so erklärt es Michael Russell, Minister für Verfassungsfragen der Scottish National Party.

      „Einen Kompromiss mit Verbleib im Binnenmarkt und der Zollunion hätten wir akzeptiert, weil wir wissen, dass das funktioniert. Alles andere funktioniert für Schottland nicht. Schottland hat gegen den Brexit gestimmt. Ich bin einer Wählerschaft Rechenschaft schuldig, die keinen Brexit wollte und ihn noch immer nicht will.“

      Deal hin oder her: Der Brexit ist und bleibt eine Reise ins Unbekannte.

      Colin MacKay, Journalist vom Fernsehsender STV, bemüht eine sehr schottische Analogie.

      „Mit dem Brexit ist das so wie mit dem Loch Ness Monster. Jeder glaubt zu wissen, wie es aussieht, niemand weiß aber wirklich, wie es ist, denn niemand hat es bis jetzt wirklich gesehen.“

      Folgen für die Wirtschaft: Jobverlust und Handelskosten

      Die schottische Regierung rechnet im schlimmsten Fall mit dem Verlust von bis zu 100.000 Arbeitsplätzen. Die Öl- und Gasindustrie, die täglich 1,7 Millionen Fässer vor allem in schottischen Gewässern fördert, hat eine Studie über mögliche Brexitfolgen in Auftrag gegeben. Ross Dornan, Market Intelligence Manager von Oil and Gas UK:

      „Je nach Szenario wird von bis zu 500 Millionen Pfund zusätzlicher Handelskosten in Form von Zöllen und Verbrauchssteuern auf Güter und Dienstleistungen für unsere Branche ausgegangen. Es gibt aber auch ein Szenario, wonach die Kosten um 100 Millionen Pfund pro Jahr sinken könnten, weil die Regierung bessere Handelsabkommen weltweit abschließen könnte.“

      Auf gute Abkommen hoffen auch die schottischen Bauern. Ihre Existenz wird momentan zu 75 Prozent durch EU-Subventionen gesichert. Charlie Adam ist stellvertretender Präsident der schottischen Farmer-Gewerkschaft, in der sich 8500 Bauern zusammengeschlossen haben.

      „Unsere Mitglieder haben sehr verschiedene Ansichten, deshalb hat der Bauernverband weder gesagt, wir sind für Brexit oder das ist ein Desaster. Was wir gefordert haben, ist Zugang zu den Märkten, einschließlich des europäischen Marktes. Und wir brauchen Arbeitskräfte und gezielte Unterstützung, um zu überleben und Gewinne zu machen.“

      Das Schlimmste wäre, wenn ohne Brexit-Vertrag die Regeln der Welthandelsorganisation in Kraft träten: Dann würden vor allem die schottischen Lamm- und Rindfleischzüchter bedeutende Märkte in der EU verlieren. Lammfleisch könnte um bis zu über 50 Prozent teurer werden.

      Fischer sind für Brexit

      Die Fischer indes haben sich klar pro Brexit positioniert. Sie fühlen sich durch die Aufteilung der Fangquoten in der Europäischen Union im Nachteil.

      Elspeth Mac Donald führt seit einigen Monaten die Geschäfte der Föderation schottischer Fischer in Aberdeen:

      „Wir glauben, dass Brexit eine Chance für die schottische Fischerei bietet.

      Rund 60 Prozent der Fische in britischen Gewässern werden nicht von britischen, sondern anderen EU Schiffen gefangen. Dieses Ungleichgewicht kann beseitigt werden, wenn wir nicht mehr Teil der EU-Fischereipolitik sind. Dann können wir mehr Fische in unseren Gewässern fangen.“

      Denn ein eigenständiges Vereinigtes Königreich würde selbst am Tisch sitzen, um mit Norwegen, den Färöer-Inseln, Island und der EU um Fangquoten zu verhandeln. Momentan gibt es ein Ungleichgewicht, sagt Elspeth MacDonald: Nur elf Prozent der Fische in den restlichen EU Gewässern würden von britischen Fischern gefangen.

      Aber was passiert nach dem Fischfang? Die fischverarbeitende Industrie Schottlands sieht es ganz anders. Ihr täglicher Treffpunkt ist Peterhead – Europas größter Markt für Fisch mit weißem Fleisch.

      Hier verkauft Andrew Charles seine Ware – zum Brexit hat er deutliche Worte:

      „Die EU zu verlassen und die Beziehung zu unseren europäischen Partnern zu zerstören ist verrückt. Wir sind gut vorbereitet auf den Brexit, aber die Kosten für kleine Exporteure werden so steigen, dass viele nicht mehr exportieren werden. Und auch die größeren Fisch-Verarbeiter werden zusätzlich belastet. Für jede Kundentransaktion werden 160 Pfund fällig: Das sind 34 Millionen Pfund pro Jahr für die schottische Branche.“

      Quelle: Deutschlandfunk Kultur

      Unabhängigkeitsbewegung in Schottland : Brexit? Aye!

      In Schottland hat eine Mehrheit gegen den EU-Austritt gestimmt. Die Radical Independence Campaign freut sich dennoch über den Brexit. Er hilft ihrem Ziel: Unabhängigkeit.

      Am 23. Juni 2016 stimmte die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der EU. Mehr als dreieinhalb Jahre später ist der Brexit immer noch ungeklärt. Wie blicken die Britinnen und Briten auf Jahre des Streits, der Kontroversen und eine Zukunft außerhalb der EU? Unsere Reporterin Rieke Havertz ist in den entscheidenden Tagen vor dem Austritt im Land unterwegs.

      Es ist der falsche Ort, ein Symbol dessen, was viele, die heute gekommen sind, ablehnen. Das Hotel direkt neben dem Hauptbahnhof in Glasgow ist Teil einer Kette. Austauschbar mit seiner Funktionsarchitektur und den auf die Wandfarben abgestimmten Lichtdesigns. Glasgow, London, Manchester, es könnte überall stehen. Ausdruck von Kapitalismus, Teil des Systems: Das lehnen die meisten Anhänger der Radical Independence Campaign entschieden ab. Das weiß auch Jonathan Shafi. Aber selbst eine Grassroots-Organisation, die für die Unabhängigkeit Schottlands kämpft, muss zweckmäßig sein. Es gibt in der Stadt einfach nicht viele Orte, an denen sich mehr als 500 Menschen treffen und diskutieren können.

      So viele sind es laut Shafi, die sich für die "A Failed State in a Failed System"-Konferenz angemeldet haben, um der Bewegung für ein von London unabhängiges Schottland wieder neues Gewicht zu verleihen. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum 2014, bei dem 55 Prozent für den Verbleib Schottlands im Königreich gestimmt haben, war es ruhiger geworden. Die Kraft war den Nationalisten ein wenig ausgegangen, stolz und frustriert zugleich über ein gutes Ergebnis, das niemand erwartet hatte, das aber am Ende nichts veränderte.

      Der nahende Brexit hat die Aktivisten wieder motiviert. Eine Mehrheit von 62 Prozent der Schotten hatte beim Brexit-Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt und sieht nun seit dreieinhalb Jahren mit an, wie die Regierung in London das umzusetzen versucht, was die Schotten nicht wollen. "Das hat uns definitiv einen Push gegeben, für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu kämpfen", sagt Shafi. Der 34-jährige Glasgower hat die Konferenz gemeinsam mit etwa 20 anderen Freiwilligen organisiert. Sie bekommen kein Geld dafür, Shafi arbeitet normalerweise bei einer linken Politikberatung. Aber er opfert seine Freizeit gern, rennt von Raum zu Raum, passt den Zeitplan an, twittert.

      Shafi ist überzeugt, dass ein zweites Referendum möglich ist – und die Schotten dieses Mal für die Loslösung von London votieren würden. Viele der seit 2012 aktiven Anhänger seien immer noch involviert und hinzu kämen neue Aktive, die sich auch aufgrund des Brexits mehr für die Unabhängigkeit Schottlands interessierten. Wie groß das Netzwerk ist, ist schwer zu sagen. Über die Social-Media-Interaktion schätzt Shafi, dass es 30.000 sind, Tendenz wachsend.

      "Ich bin kein Nationalist, ich bin Internationalist"

      Bei der Konferenz kommt eine Mischung aus älteren und jüngeren Leuten zusammen. Zum Auftakt werden sie mit Reden von Aktivistinnen und Aktivisten auf den Tag eingestimmt, an dessen Ende sie nicht nur mit Ideen und Flyern nach Hause gehen sollen, sondern im besten Falle selbst aktiv werden – und Geld spenden. Die Miete für das Hotel ist über die Teilnehmergebühr zusammengekommen, ein Budget gibt es noch nicht.

      Aamer Anwar schafft es, die Teilnehmer zu Standing Ovations zu bewegen, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist. "Lasst mich eins ganz deutlich machen: Ich bin kein Nationalist, ich bin Internationalist", sagt der schottische Menschenrechtsanwalt. Es sei an der Zeit, dass Schottland die Kontrolle über das eigene Schicksal zurückgewinne und damit auch wieder über die Politik bestimme könne, die aus seiner Sicht ungerecht, ausgrenzend und inhuman ist. Damit setzt er den Ton für den Tag. Selbst entscheiden, was gut für Schottland ist, das wollen alle hier.

      Und nicht nur in Bezug auf Europa. Menschenrechte, Antikapitalismus, Umweltschutz – diese Schlagworte fallen immer wieder. "A failed state", ein gescheiterter Staat, so blicken sie hier auf Großbritannien. Und wollen sich nicht länger von einer konservativen Regierung in London geißeln lassen. "Wir wählen nie Tories, enden aber immer mit einer Tory-Regierung", sagt Organisator Shafi während einer Rauch- und Koffeinpause. Ein Problem für die Bewegung, denn: "Westminster wird uns nicht einfach so ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ermöglichen", ist sich Shafi sicher.

      Die SNP, die größte schottische Partei, befürwortet eine Unabhängigkeit, Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon plant ein zweites Referendum. Nur: Das Parlament in London müsste dem zustimmen. Und ohne Druck, da sind sich hier alle einig, wird das nicht passieren. "Wir müssen etwas dafür tun, dass sie keine andere Wahl haben, als zuzustimmen", sagt Alison Roe. Sie wohnt im Norden Schottlands und ist für die Konferenz länger in Glasgow geblieben als eigentlich geplant. Roe ist bereit, sich über Debatten hinaus zu engagieren. Die Politik habe lange genug Zeit gehabt, etwas zu bewegen.

      "Nun müssen wir die Ideen liefern."

      In der Pause zwischen zwei Workshops, in denen nicht nur über Kampagnenstrategien, sondern auch über einen Green New Deal oder Unterstützung für Geflüchtete gesprochen wird, steht Roe mit Woody Morrison und Susan Maxwell zusammen. Alle drei eint der Wunsch nach einem unabhängigen Schottland – und eine ambivalente Haltung zum Brexit. "Er hilft uns", sagt Morrison. Dennoch sei er gegen den Brexit, so, wie ihn die Tories forcieren würden. Aber bedingungslos hinter der EU stehe er auch nicht. Da stellt sich für ihn wieder die Systemfrage. "Am besten haben wir erst unsere Unabhängigkeit und dann noch einmal ein Referendum über die EU."
      Ein Tory-Brexit ist ein Tory-Brexit

      Auch Roe lehnt den Brexit-Plan in seiner derzeitigen Form, so man das in diesen Tagen überhaupt sagen kann, ab. Wobei die Details kaum noch eine Rolle spielen, ein Tory-Brexit ist ein Tory-Brexit. Sie könne sich als unabhängiges Schottland eine Norwegen-Rolle in Beziehung mit der EU vorstellen. Aber bitte nicht den Euro übernehmen, lieber eine eigene Währung. Auf keinen Fall, widerspricht Morisson, der Euro sei doch gut. Und Susan Maxwell würde am liebsten weiter mit Pfund bezahlen, auch im unabhängigen Schottland. "Der Brexit macht alles komplizierter, weil es mehr Visionen von der Zukunft gibt", sagt Roe. Die EU von innen heraus als Mitglied verändern oder von außen Veränderung erzwingen, noch so eine Frage, über die die drei diskutieren, während sie im Stehen ihre mitgebrachten Sandwiches essen. Sicher aber sind sie sich, dass die Brexit-Krise ihrem Ziel helfen wird.

      Doch wie soll es gelingen, London von einem zweiten Referendum zu überzeugen, an dem das Königreich kein Interesse hat? Und das mit einer Bewegung, die dezentral organisiert und bis jetzt kaum professionalisiert ist? Jonathan Shafi, der selbst Befürworter eines Brexits ist, weil er die EU in ihrer Struktur ablehnt, glaubt an den Bernie-Sanders-Weg: eine Vielzahl an Freiwilligen, die bestens organisiert und engagiert ist. Das Ziel nicht aus den Augen verlieren, auch wenn hier niemand weiß, wann eine zweite Abstimmung Realität werden könnte. "Aber sie wird kommen und die Unabhängigkeit auch", sagt Shafi. Ohne Leidenschaft geht es nicht, ohne Geduld auch nicht. Denn auf einen Zeitplan will sich hier niemand festlegen. Nächstes Jahr, so wie die SNP anstrebt? Oder doch eher in zwei Jahren, in denen alles auf Wahlkampf ausgerichtet ist? Fragen für viele Ortsgruppen, die die Radical Independence Campaign in den kommenden Monaten aufbauen will.

      Doch egal, wie lange es dauert, der Brexit wird ihnen nützlich sein, glauben die Aktivisten. Denn selbst wenn der EU-Austritt in absehbarer Zeit gelingt, "das Thema wird uns doch noch über Jahre beschäftigen", sagt Shafi. Anhänger und Gegner werden sich weiter bekämpfen, neue Abkommen mit der Welt müssen verhandelt werden, die Spaltung der britischen Gesellschaft sich nicht auflösen. Keine schönen Aussichten für das Land, sagt Shafi. Aber für ihn und all die anderen hier gute Gründe für die Schotten, ihren eigenen Weg zu gehen.

      Quelle: Zeit Online

      Brexit am 31. Oktober verpasst - Johnson sagt Sorry

      London Wer ist schuld am Brexit-Chaos? Zum Wahlkampfauftakt schieben sich der britische Premier Johnson und die Opposition die Verantwortung zu. Und dann ist da noch eine Drohung von Brexit-Parteichef Farage.


      Mit Zugeständnissen im erbittert geführten Brexit-Streit will der britische Premierminister Boris Johnson unentschlossene Wähler auf seine Seite ziehen. Gut einen Monat vor der Parlamentswahl am 12. Dezember entschuldigte sich der konservative Regierungschef dafür, dass er entgegen seiner wiederholten Versprechen das Land nicht zum 31. Oktober aus der Europäischen Union geführt hat.

      Außerdem wollen seine Tories im Wahlkampf auf die Drohung eines No-Deal-Brexits verzichten, wie die Tageszeitung „The Times“ berichtete. Damit zielt Johnson auf gemäßigte Wähler, die nach der Abstimmung auf klare Verhältnisse und ein Ende des Brexit-Chaos hoffen, aber die EU nicht ohne Vertrag verlassen wollen.

      Es tue ihm leid, dass er sein Versprechen nicht eingehalten habe, sagte Johnson in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem Sender Sky. „Ich bin sehr, sehr enttäuscht.“ Die Brexit-Verzögerung sei ein „Gräuel“. Zugleich gab der Regierungschef dem Parlament die Schuld an der Verzögerung. Es habe genug Zeit gehabt, vor dem 31. Oktober über den von ihm mit der EU neu verhandelten Deal abzustimmen, aber diese Möglichkeit nicht genutzt. Die Opposition macht dagegen Johnson für die Verzögerung verantwortlich.

      Der Premierminister hatte wiederholt versprochen, dass Großbritannien die EU am 31. Oktober verlassen werde, „komme, was wolle“. Nun soll das Land spätestens am 31. Januar austreten. Die Diskussion über den Brexit steht im Mittelpunkt der vorgezogenen Parlamentswahl.

      Johnson wolle sich nun darauf konzentrieren, nach der Abstimmung seinen von ihm als „fantastisch“ bezeichneten Deal durchs Parlament zu bekommen, schrieb die „Times“ am Samstag. Die No-Deal-Drohung sei vom Tisch. Finanzstaatssekretär Rishi Sunak widersprach dem Bericht am Sonntag in der BBC nicht. Johnsons Brexit-Deal werde die Unsicherheit beenden, sagte Sunak.

      Derzeit ist aber völlig unklar, ob die Wahl tatsächlich - wie von Johnson erhofft - für klare Mehrheiten im Parlament sorgt. Zudem droht dem Premier Gefahr vom rechten Rand. Ein Angebot der Brexit-Partei von Nigel Farage, die bisher nicht im Parlament vertreten ist, bei der Wahl mit den Konservativen zu kooperieren, lehnte Johnson ab. Für diesen Fall hatte Farage, der selbst nicht für das Parlament kandidiert, gedroht, bei der Wahl um jeden Sitz zu kämpfen. Auf diese Weise könnte die Brexit-Partei den Konservativen Stimmen abjagen und Experten zufolge die größte Oppositionspartei Labour stärken.

      Eine aktuelle Umfrage für die Zeitung „The Sunday Telegraph“ ergab, dass der Vorsprung der Tories geschmolzen ist: Demnach kommen sie auf 36 Prozent, die größte Oppositionspartei Labour auf 28 Prozent. Die Liberaldemokraten, die für einen Verbleib in der EU kämpfen, liegen bei 14 und die Brexit-Partei, die einen klaren Bruch mit der Staatengemeinschaft will, kommt demnach auf 12 Prozent. Andere Umfragen zeigen eine ähnliche Tendenz, aber einen größeren Vorsprung für die Tories.

      Quelle: RP Online

      Im Falle eines Tory-Wahlsiegs Sturgeon sieht Brexit als Scheidungsgrund

      Die vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien befeuern die Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit. Erstmals spricht Regierungschefin Sturgeon auf einer Veranstaltung für die Abspaltung Schottlands. Der Brexit und Johnsons harter EU-Kurs dienen ihr als Hebel: für ein neues Referendum.

      Erstmals seit dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2014 hat Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon an einer Kundgebung von Befürwortern einer Unabhängigkeit von Großbritannien teilgenommen. Ihr Ziel sei "zum Greifen nah", sagte die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) vor Tausenden Teilnehmern der Kundgebung in Glasgow. An dem "Marsch für die Unabhängigkeit" beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter etwa 20.000 Menschen, viele schwenkten schottische Fahnen.

      Sturgeon plant im kommenden Jahr ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Die vorgezogene britische Parlamentswahl am 12. Dezember bezeichnete Sturgeon als "wichtigste Wahl für Schottland in unserem Leben". "Die Zukunft unseres Landes steht auf dem Spiel", sagte sie und forderte die Menschen auf, zur Wahl zu gehen. Sturgeon warnte, ein Sieg der Konservativen Partei des britischen Premierministers Boris Johnson bedeute, dass "Schottland gegen seinen Willen aus der europäischen Staatenfamilie gerissen wird". "Die viel bessere Alternative ist, die Zukunft in unsere eigenen Hände zu nehmen und ein unabhängiges Land zu werden", rief Sturgeon.

      Corbyn dementiert: Keine Abstimmung in Schottland

      In dem Referendum von 2014 hatten die Schotten die Unabhängigkeit von Großbritannien abgelehnt. Im Brexit-Referendum von 2016 waren die Schotten anders als die Mehrheit der Briten für einen Verbleib in der Europäischen Union. Sturgeon sieht deshalb die Frage einer Unabhängigkeit Schottlands wieder auf der Tagesordnung und strebt für das kommende Jahr ein erneutes Referendum zu dieser Frage an.

      Ein solches Referendum müsste allerdings mit der Erlaubnis der britischen Regierung geschehen, um Gültigkeit zu erlangen. Es wird erwartet, dass Sturgeon Premier Johnson noch vor Weihnachten formell darum bitten wird, dass die schottische Regionalregierung ein Unabhängigkeitsreferendum organisieren darf. Labour-Chef Jeremy Corbyn wies in London Aussagen Sturgeons zurück, wonach seine Sozialdemokraten im Falle eines Labour-Wahlsieges einem schottischen Referendum nicht im Wege stehen würden. Eine Volksabstimmung sei "weder notwendig noch wünschenswert", sagte er.

      Quelle: n-tv

      Sturgeon appelliert im Wahlkampf an schottische Brexit-Gegner

      «Meine Botschaft an die Schotten in dieser entscheidenden Wahl lautet: Wenn Sie die Nase voll haben von dem Chaos in Westminster, das Sie Abend für Abend im Fernsehen mitverfolgen, stimmen Sie für die SNP, um dem Brexit zu entkommen», sagte die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) am Freitag in Edinburgh.

      Sie lehne es strikt ab, dass Schottland «gegen seinen Willen aus der EU ausgeschlossen» werde, obwohl 62 Prozent der Schotten im 2016 abgehaltenen Referendum gegen den Brexit gestimmt hatten, sagte Sturgeon. Sie kündigte an, «das Schicksal Schottlands in die Hände der Schotten» zu legen, indem sie 2020 ein neues Referendum über die Unabhängigkeit ihres Landes abhalten werde.

      Für ein solches Referendum braucht Sturgeon das grüne Licht der britischen Regierung - jedoch weigerte sich der konservative Premierminister Boris Johnson bislang strikt. Sollte ihre Partei in Schottland bei den britischen Parlamentswahlen am 12. Dezember siegen, könne die Regierung diese Forderung nicht mehr ignorieren, sagte Sturgeon.

      Im Unabhängigkeitsreferendum von 2014 hatte die schottische Bevölkerung noch die Unabhängigkeit von Grossbritannien abgelehnt. Da die Schotten - anders als die Mehrheit der Briten - im Brexit-Referendum von 2016 aber für einen Verbleib in der Europäischen Union waren, sieht Sturgeon die Frage einer Unabhängigkeit ihres Landes wieder auf der Tagesordnung.

      Falls keine der Parteien bei den Wahlen die Mehrheit der Stimmen erhalte, würden SNP-Abgeordnete ein «fortschrittliches Bündnis» bilden, um Johnsons Partei aus der Regierung zu verdrängen, verkündete Sturgeon.

      Sie werde zudem «mit Zähnen und Klauen» dafür kämpfen, dass das angeschlagene staatliche Gesundheitssystem NHS sich im Falle eines Brexit im Rahmen von künftigen Handelsabkommen nicht für den Privatsektor öffne. Die SNP werde daher nach der Wahl einen Gesetzesvorschlag zum Schutz des NHS vor solchen «Mauscheleien» vorstellen.

      Die Neuwahlen in Grossbritannien sind für den 12. Dezember geplant. Johnson hofft auf eine klare Mehrheit, um das von ihm mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen durch das Parlament zu bekommen. Eigentlich hatte der Premierminister das Austrittsdatum 31. Oktober um jeden Preis einhalten wollen, musste dann aber eine Verlängerung der Frist bis zum 31. Januar beantragen, weil das Parlament dem Abkommen nicht im Eiltempo zustimmen wollte.

      Quelle: Blick