SCHOTTISCHES MUSEUM PERTH: Westminster, wie schmeckt dir das?

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    Es gibt 2 Antworten in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Isabella MacDuff.

      SCHOTTISCHES MUSEUM PERTH: Westminster, wie schmeckt dir das?

      Einhörner, Riesenlachse und vertriebene Pächter: Das neue Museum in Perth bettet den legendären schottischen Krönungsstein in die Geschichte der Region ein.

      Der Stein von Scone, auch pathetisch als „Schicksalsstein“ bekannt, hat im Museum von Perth, der alten Hauptstadt des piktischen Reiches am Tay, eine neue Unterkunft gefunden. Manche würden sagen, er sei nach Hause gekommen. Denn das ehemalige städtische Veranstaltungsgebäude, das vom niederländischen Architekturbüro Mecanoo nun zum Perth Museum umgestaltet worden ist, liegt nur wenige Kilometer vom Herkunftsort des sagenumwobenen Steins in der einstigen schottischen Krönungsstätte entfernt, deren Namen er trägt.

      Perth preist sich als Tor zu den Highlands an, wird aber von Touristen, die es eilig haben, das romantische Schottland zu entdecken, zu wenig wahrgenommen. Dem soll die anschauliche neue Präsentation einer Auswahl des historischen, ethnographischen und naturgeschichtlichen Museumsbestandes aus mehr als einer halben Million Objekten entgegenwirken. Bislang musste sich das bunte Allerlei ein Gebäude mit der Kunstsammlung teilen. Mit seiner selbständigen Behausung gesellt sich das Perth Museum zu den Kulturprojekten, die als Motor der innerstädtischen Wiederbelebung dienen sollen. Die britische Regierung hat über eine regionale Organisation denn auch mehr als ein Drittel der Kosten von insgesamt 27 Millionen Pfund beigesteuert.

      Das gedrungene neobarocke Gebäude aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert steht auf einem Platz, der in das mittelalterliche Straßenraster hineingeschnitten worden ist. Als Hort lokaler Erinnerungen ist der alte Versammlungssaal selbst ein Exponat. Mit schottischen Tänzen und Schulfeiern über Parteitage und Suffragettenprotesten bis hin zu Ringkämpfen und Auftritten von Gruppen wie The Who und The Kinks bildete er einen gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt. Nach dem Bau eines Konzertsaals wurde er überflüssig und stand fast zwanzig Jahre lang leer, während über Abriss oder die Umwandlung in ein Hotel oder eine Markthalle debattiert wurde.

      Mecanoo hat die edwardianische Konstruktion entkernt und durch subtile Eingriffe in einen Dialog zur Stadt gesetzt. Die Eingänge sind vom Säulenportal an die Langseiten verlegt worden. Zwischen dem großzügigen Hauptsaal und einem kleineren, in ein lichtes Café umgewandelten Aufführungsraum verläuft ein gepflasterter Weg nach der Art der mittelalterlichen Gassen Perths quer durch den Bau. Die gewölbten Bronzerahmen um die Glastüren an jedem Ende dieser Passage erinnern dezent an die Pfeifen der nach Australien verkauften Orgel. Die leere Orgelempore beherbergt jetzt ein mit naturwissenschaftlichen Objekten bestücktes Diorama. Im Café sind die Bogenfenster bis auf das Straßenniveau verlängert worden, um den Blick auf die benachbarte St. John’s Kirk zu öffnen. Dort hat John Knox 1559 die Gemeinde mit einer fulminanten Predigt gegen den Götzendienst aufgewiegelt und die schottische Reformation losgetreten. Von den Folgen erzählen zahlreiche Exponate im Museum.

      Ein Siebenjähriger wird König

      Der Stein von Scone ist für die Stadt ein großer Coup. Der rote Sandsteinbrocken misst 66 mal 28 mal 41 Zentimeter und wiegt 152 Kilo. Sein symbolisches und mythisches Gewicht aber ist unermesslich. Trotz der Markierungen, die eine Fülle von spannenden Indizien preisgeben, sieht er nicht nach viel aus. Seine Aura beruht auf dem Wissen, das der Betrachter in den Gegenstand hineinprojiziert: ein Beispiel für die Rolle von Geschichte, Pseudogeschichte, Sagen und Phantasie bei der Konstruktion von Symbolen.

      Seit Urzeiten sollen die Herrscher des piktischen Reiches im heutigen Schottland auf dem unscheinbaren Sandsteinblock gekrönt worden sein. Eine solche Zeremonie ist allerdings erst für das Jahr 1249 bezeugt, als der siebenjährige Alexander III. auf dem mit goldbestickten Seidentüchern geschmückten Königssitz im Friedhof der Abtei von Scone als König ausgerufen wurde. Von der frühen Bedeutung als Symbol des schottischen Königtums zeugt, dass der englische König Eduard II. den Stein kaum fünfzig Jahre später erbeutete und in einen neuen Thron einarbeiten ließ. Von dem Streich vier schottisch-nationalistischer Studenten abgesehen, denen es an Weihnachten 1950 gelang, ihn wie in einer Filmkomödie zu kapern und vorübergehend nach Schottland zu entführen, blieb der Stein von Scone dem Krönungsstuhl in der Abtei von Westminster einverleibt: zunächst als Symbol der Unterwerfung Kaledoniens, später, zumindest aus britischer Sicht, als Symbol der Einheit der Königreiche England und Schottland.

      Das steinerne Wahlgeschenk

      Erst 1996 kam es zu einer überraschenden Wendung. In einem allerletzten Versuch, eine vernichtende Wahlniederlage in Schottland abzuwenden, nahm die Regierung Major den 700. Jahrestag der Entführung des Steines zum Anlass für den Versuch, die Schotten durch die Rückgabe zu beschwichtigen. Sie berücksichtigte dabei nicht, dass diese parteipolitische Geste die Zerstörung des mittelalterlichen Thrones und die Loslösung eines geweihten historischen Gegenstandes aus seiner sakralen Umgebung bedeutete. Das Symbol schottischen Königtums wurde mit militärischen Ehren in der Burg von Edinburgh empfangen und neben den schottischen Kronjuwelen ausgestellt. Den Tories hat es nichts genutzt. Sie verloren sämtliche schottischen Sitze.

      Wie als Bedingung für die Dauerleihgabe festgelegt, nahm der zum Museumsobjekt degradierte Stein bei der Krönung König Charles’ III. vor einem Jahr wieder seine sakrale Funktion in der Abtei von Westminster ein. So soll es künftig bei jedem Thronwechsel gehalten werden.

      Jetzt aber bildet der Sandsteinblock physisch und gedanklich das Herzstück des Perth Museum. Mecanoo hat einen eichenverkleideten Turm dafür entworfen, der aus der Mitte des großen Galeriesaales entspringt und bis fast an die Decke reicht. Dort ist er – anders als in seiner Zeit in Edinburgh – kostenlos zu sehen. In profanem Rahmen sucht das Museum die historische, spirituelle und sakramentale Bedeutung durch ein immersives Erlebnis zu vermitteln, das in dem schatzkammerähnlichen Gehäuse in zwei Etappen inszeniert wird. Nach einer dokumentarischen Einführung öffnen sich die Türen zum Heiligtum. Vor der Vitrine mit dem Stein wohnen Besucher einer animierten Darstellung der Krönung Alexanders III. bei.

      Jetzt aber bildet der Sandsteinblock physisch und gedanklich das Herzstück des Perth Museum. Mecanoo hat einen eichenverkleideten Turm dafür entworfen, der aus der Mitte des großen Galeriesaales entspringt und bis fast an die Decke reicht. Dort ist er – anders als in seiner Zeit in Edinburgh – kostenlos zu sehen. In profanem Rahmen sucht das Museum die historische, spirituelle und sakramentale Bedeutung durch ein immersives Erlebnis zu vermitteln, das in dem schatzkammerähnlichen Gehäuse in zwei Etappen inszeniert wird. Nach einer dokumentarischen Einführung öffnen sich die Türen zum Heiligtum. Vor der Vitrine mit dem Stein wohnen Besucher einer animierten Darstellung der Krönung Alexanders III. bei.

      Die kostbare Leihgabe wird zugleich herausgestellt und in eine sorgfältig durchdachte Schau zur Geschichte Perths von der Bronzezeit bis ins zwanzigste Jahrhundert eingebettet. Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Kleider, alte Ladenfenster und Fabrikbanner geben ein lebendiges Bild des Alltags über die Zeiten hinweg. Besonders berührend sind etwa das mehr als tausendjährige Ei, das unversehrt in einer Müllgrube gefunden wurde, der Kinderschuh, der bei der Vertreibung von Kleinpächtern zugunsten der Schafzucht zurückgelassen wurde, und das möblierte Puppenhaus, das ein deutscher Gefangener im Zweiten Weltkrieg einem schottischen Mädchen schenkte.

      Der nackte PikteAm Eingangsbereich erinnert ein Schwert, das der Herzog von Perth dem als „Bonnie Prince Charlie“ sentimentalisierten britischen Thronprätendenten 1739 im römischen Exil übergab, an die jakobitische Vergangenheit der Stadt. In Perth geschmiedet, kehrt es als weiteres Symbol schottischer Identität erstmals wieder an seinen Ursprungsort zurück.

      An den Seiten des großen Saales wird gezeigt, wie politische und religiöse Strukturen über die Jahrtausende hinweg Macht und Prestige symbolisch zur Geltung gebracht haben, veranschaulicht etwa auf dem 2017 bei Straßenarbeiten entdeckten Monolith mit dem Umriss eines nackten piktischen Kriegers. Zu sehen sind gemeißelte jungsteinzeitliche Steinkugeln und ein mehr als neun Meter langer, besonders gut erhaltener bronzezeitlicher Einbaum. Beleuchtet werden das Mittelalter und später die Rolle Perths zwischen Bürgerkrieg und Restauration, als Charles II. seine Kampagne zur Wiedererlangung des englischen Throns 1651 durch seine Krönung zum König von Schottland zu festigen suchte. Es war die letzte Krönung, die in Scone stattfand. Darüber wird in der Galerie der Faden der Geschichte bis ins zwanzigste Jahrhundert weitergesponnen, auch mit mündlich tradierten Berichten und anekdotischen Objekten wie dem Abguss des 29 Kilo schweren Lachses, den Georgina Ballantine 1922 nach zweistündigem Ringen aus dem Tay zog.

      Mitbringsel aus der SüdseeAuf beiden Ebenen sind die den Zuschauerraum flankierenden Gänge in kleinere, lichtgeschützte Ausstellungsflächen verwandelt worden, in denen auch hochempfindliche Gegenstände gezeigt werden können, darunter ein zeremonieller Maori-Umhang aus den Federn einer vom Aussterben bedrohten Papageienart. Ein in den Zwanzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts nach Australien ausgewanderter Schiffsarzt aus Perth hat ihn mit anderen indigenen Kulturgütern zur Erweiterung des Wissens in die Heimat zurückgeschickt.

      Das Museum gehört zu den städtischen Einrichtungen, die im neunzehnten Jahrhundert aus dem Ideal der Bildung für alle hervorgegangen sind. Den Grundstock bildet die Sammlung der literarischen und antiquarischen Gesellschaft von Perth, eines 1784 gegründeten Kreises bildungsbeflissener Amateure aus der Provinz, die ein patriotisches Gegengewicht zu den als zunehmend anglisiert empfundenen Fachleuten in Edinburgh setzen wollten. Ihre Sammeltätigkeit war von den Vorstellungen der Aufklärung getragen, deren empirischer Zugang im Feld der Völker- und Naturkunde im jetzigen Geist des Postkolonialismus jedoch als Instrument der Unterwerfung angefochten wird. Das Museum bemüht sich, dieses Material in enger Zusammenarbeit mit den Ursprungsvölkern zu erforschen und aus deren Perspektive darzubieten, so wie es im Zusammenhang mit der Vertreibung der Kleinpächter aus den Highlands zugunsten der Schafzucht die Schattenseite der Schottland-Romantik hervorhebt.

      Quelle: Frankfurter Allgemeine